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16.08.2023 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 516

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

bevor ich Ihnen heute die 10 Préludes op. 23 von Sergej Rachmaninow vorstelle, soll ein kleiner Appetizer vorangestellt sein: Das wohl bekannteste Prélude von Sergej Rachmaninow stammt aus dieser Sammlung: Nr. 5 in g-Moll wird hier interpretiert von Yevgeny Kissin. Es ist die Zugabe, die der russische Pianist im Jahr 2000 bei den BBC Proms in der Londoner Royal Albert Hall gab:

www.youtube.com/watch

Die 10 Préludes op. 23 entstanden zwischen 1901 und 1903. Rachmaninow hatte sich dank der intensiven Methoden von Nikolai Zverev und später unter der Anleitung des Liszt-Schülers Alexander Siloti, Rachmaninows Cousin, die beste Klaviertechnik seiner Zeit angeeignet. Und trotz einer gewissen Abneigung gegen seine Hausaufgaben schien er sich durch den Unterricht bei Sergei Tanejew ebenso solide Fertigkeiten im Komponieren angeeignet zu haben. Rachmaninow konnte daher Texturen von ungeheurer Großartigkeit und Opulenz anfertigen, ohne dabei auf oberflächliche Sensationsmacherei zurückzufallen.

Die ersten drei Préludes können als Modellstücke für den gesamten Zyklus op. 23 gesehen werden. Die Seufzermotive des langsamen fis-Moll Stücks Nr. 1 geben einen melancholischen, introspektiven Ton vor, während die blumigen Arpeggien, unbezähmbaren Akkorde und üppigen Schlusskaskaden des schnellen B-Dur Préludes Nr. 2 eine Entschlossenheit, jegliches Missgeschick zu bewältigen, auszudrücken scheinen. Nr. 3 d-Moll, Tempo di minuetto, vermittelt zwischen den beiden Extremen; hier ist der Schwerpunkt ein beherrschter Neoklassizismus, der sowohl mal introvertiert als auch mal extravertiert wirken kann.

Die Vorgabe, die in diesen ersten drei Préludes festgelegt wird, erscheint dann auch in den folgenden vier Stücken; Nr. 4 ist ein Schumanneskes Lied ohne Worte, während das berühmte Alla marcia in g-Moll dahinschmelzende Lyrik mit militanter Energie umrahmt; die neobarocke Phase muss dann warten, während das seufzende, lyrische Es-Dur Prélude wiederum Rachmaninows meisterliche Gabe der ausgeschmückten Begleitung beweist. Der bis aufs Äußerste ausgedehnte Bach’sche Toccatenstil im c-Moll Prélude Nr. 7 ist eine Meisterleistung.

Die letzten drei Préludes sind alles andere als eine Antiklimax. Im As-Dur Stück Nr. 8 erklingen die Figurationen der rechten Hand ebenso beharrlich einerseits und erfinderisch andererseits wie in einer Chopin-Etüde, während die Intervallketten des Presto in es-Moll eine etwas derbere Reinkarnation von Liszts "Feux follets" (Irrlichter) aus den Transzendentalen Etüden sind. Das langsame Prélude Ges-Dur schließlich ist nicht applausstrategisch angelegt, sondern beendet das Opus auf bescheidene Art und Weise und bezieht sich noch einmal auf die Seufzer des ersten Préludes fis-Moll zurück.

Die 10 Preludes op. 23 sind im folgenden Link mit Nikolai Lugansky zu sehen:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Urlaubsgrüßen von der Nordsee

Matthias Wengler

Beitrag von sd