Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
die Eröffnung des Suezkanals spielt bei unserem heutigen Werk eine wichtige Rolle: Zu diesem Anlass bestellte der Herrscher Ägyptens bei Giuseppe Verdi die Oper „Aida“, die in diesem Sommer auch auf dem Braunschweiger Burgplatz gespielt wurde.
„Ich bin überzeugt, dass ein Italien ohne Verdi das Gleiche wäre wie ein England ohne Shakespeare“ - was für eine Diagnose! Sie stammt von dem italienischen Avantgardisten Luciano Berio, sie illustriert Giuseppe Verdis enorme künstlerische und politische Energie. Als seine Oper „Aida“ zum ersten Mal erklang, hatte die umkämpfte Einheit Italiens, von Verdi selbst propagiert, gerade Gestalt angenommen. Seine drittletzte Oper, das fatalistische Wunderwerk eines nationalen und emotionalen Konflikts im alten Ägypten, schildert die Tragik einer durch Chauvinismus zerstörten großen Liebe. Zwei Königstöchter begehren einen jungen Feldherrn, der leider die Tochter des Feindes liebt. Der Triumphmarsch mit den eigens angefertigten langen Aida-Trompeten, schön und brutal, wurde Verdis größter Gassenhauer.
Die Uraufführung der „Aida“ am 24. Dezember 1871 in Kairo befeuerte die nationale Identität des modernen Ägypten. Der Khedive in Kairo hatte Verdi eingeladen, zur Eröffnung des Suezkanals etwas Großräumiges für das neue Opernhaus dort zu komponieren. Ein Abenteuer für den 56-jährigen, längst berühmten Komponisten. Verdi reagierte skeptisch, studierte dann aber das glänzende Exposé des Ägyptologen Auguste Mariette, erfuhr vom schwindelerregenden 150.000-Francs-Honorar (die bis dahin höchste Summe für einen Kompositionsauftrag) und stürzte sich in die Arbeit.
Legenden ranken um diese Oper - wahr ist: "Aida" war zur Eröffnung des Suezkanals 1869 im gleichzeitig erbauten Opernhaus Kairo gedacht. Doch Verdi ließ sich nicht drängen - und man spielte schließlich "Rigoletto". Erst 1870 kam es zum Vertrag. Die Uraufführung verzögerte sich, da im deutsch-französischen Krieg 1870/71 die Dekorationen im belagerten Paris eingeschlossen waren.
Feindschaft und Krieg der Nationen Ägypten und Äthiopien, zur Zeit der Pharaonen, die Hegemonie von Staat und Priesterschaft, die skandalöse, wegen Landesverrat mit dem Tod bestrafte Liebe des ägyptischen Feldherrn Radames zur äthiopischen Sklavin Aida, der Spagat zwischen Vaterlandspflicht und Liebe - es ist die Balance von Drama und Musik, die der Oper ihre mitreißende Spannung verleiht. Einerseits schlägt Verdis antiklerikaler Affekt durch - der allmächtige Oberpriester namens Ramphis will nichts als seine Religionsgewalt absichern. Andererseits gelingen Verdi zauberhafte Bilder von Ägyptens religiöser Kultur, mit Tanz und zarten exotischen Klängen.
Der blendend geformte Klang- und Bilderbogen sicherte „Aida“ den durchschlagenden Erfolg bis heute auf allen Opernbühnen. Das tragische Ende der Oper konnte dem Glück der Zuschauer nichts anhaben. Tief empfunden und genial modelliert besingen zwei Liebende ihren von der Priesterschaft diktierten grausam seligen Tod. Die ausführliche Inhaltsangabe zu den einzelnen Akten finden Sie am Ende dieses Newsletters.
Einen Mitschnitt aus der New Yorker Metropolitan Opera vom 7. Oktober 1989 habe ich heute für Sie ausgewählt. In den Hauptpartien sind Aprile Millo (Aida), Plácido Domingo (Radamès), Dolora Zajick (Amneris), Sherrill Milnes (Amonasro) und Paata Burchuladze (Ramfis) zu sehen, Chor und Orchester der MET werden dirigiert von James Levine:
Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler
1. Akt
Die Äthiopier bedrohen unter der Führung ihres Königs Amonasro aufs Neue das ägyptische Reich. Auf Rat der Göttin Isis soll Radames als Feldherr an der Spitze der ägyptischen Krieger gegen die Äthiopier ziehen. Radames träumt von Ehre und Ruhm - und von Aida, die als äthiopische Sklavin der ägyptischen Königstochter Amneris dient. Geheime, innige Liebe verbindet Radames und Aida. Aber auch Amneris begehrt den jungen, tapferen Krieger leidenschaftlich. Plötzlicher Argwohn erwacht in ihr, als sie der Blicke zwischen den Verliebten gewahr wird. Unter Jubel und Zeremonien wird Radames vom König die Feldherrnwürde übertragen. Aida ist verzweifelt: Radames, der Geliebte, wird gegen ihr Volk, ja sogar, was am ägyptischen Königshofe allerdings niemand ahnt, gegen ihren Vater Amonasro kämpfen. Priester und Priesterinnen beschwören den Gott Ptah, den Ägyptern im Kampfe gegen die Äthiopier beizustehen. Radames erhält vom Oberpriester Ramphis das heilige siegbringende Schwert.
2. Akt
Das ägyptische Heer hat die Feinde geschlagen. Amneris wird von ihren Sklavinnen für das Siegesfest geschmückt. Sehnsüchtig erwartet sie den begehrten Radames. Aber plötzlich quälen sie wieder Zweifel. Sollte sie in Aida wirklich eine Rivalin haben? Sie muss sich Gewissheit verschaffen. Durch eine List gelingt es ihr, Aida das Geständnis ihrer Liebe zu Radames zu entlocken. Radames wird als Sieger triumphal empfangen. Im Zuge der äthiopischen Gefangenen erblickt Aida ihren Vater. Amonasro verschweigt jedoch seinen Stand, erklärt, dass der äthiopische König im Kampfe gefallen sei, und bittet um Gnade für die Mitgefangenen. Ramphis warnt, aber auch Radames schließt sich dieser Bitte an. Die Gefangenen werden freigelassen. Nur Aida und ihr Vater sollen weiterhin als Geiseln am ägyptischen Hofe bleiben. Als Dank für seinen mutigen Einsatz fürs Vaterland bietet der König Radames die Hand seiner Tochter Amneris und die Thronfolge. Das Volk jubelt; freudentrunken sieht sich Amneris am Ziel ihrer Träume.
3. Akt
Amneris wird von Ramphis in den Tempel der lsis geführt, um dort die Nacht vor ihrer Vermählung mit Radames zu beten. Aida erwartet Radames. Amonasro, dem die Neigung seiner Tochter zu dem ägyptischen Feldherrn nicht verborgen geblieben ist, ist ihr gefolgt. Unter Beschwörung der Leiden ihres Volkes überredet er sie, Radames zur Preisgabe der ägyptischen Angriffspläne gegen die inzwischen wieder erstarkten Äthiopier zu bewegen. Verzweifelt willigt Aida ein. Amonasro verbirgt sich. Aida gelingt es, Radames zu einer gemeinsamen Flucht zu verleiten und von ihm einen Weg zu erfahren, der vor den ägyptischen Truppen sicher ist. Damit hat Radames aber den Aufmarschplan der Ägypter für den bevorstehenden Kampf verraten. Triumphierend tritt Amonasro aus seinem Versteck hervor und gibt sich als König der Äthiopier zu erkennen. Radames, die Tragweite seines Verrates erkennend, stellt sich den Wachen. Amonasro und Aida fliehen.
4. Akt
Radames, des Hochverrats angeklagt, soll zum Tode verurteilt werden. Amneris, die ihn noch immer liebt, versucht, ihn durch Widerruf seines Geständnisses dem bevorstehenden Schicksal zu entreißen. Aber für Radames ist ein Leben ohne Aida sinnlos. Er weist den Antrag von Amneris zurück. Schweigend anerkennt er das Urteil der Priester: Tod durch Einmauerung. In einem unterirdischen Gewölbe eingeschlossen, erwartet Radames sein Ende. Plötzlich wird er gewahr, dass er nicht alleine ist. Aida hat sich unbemerkt eingeschlichen, bereit, mit dem Geliebten zu sterben. Im Tode erfüllt sich ihre Liebe...