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08.04.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 611

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

zu den bekanntesten Sinfonien Joseph Haydns zählt seine Sinfonie Nr. 45 fis-Moll - genauer gesagt jedoch eigentlich nur der Schlusssatz, dem das Werk auch seinen Beinamen verdankt: "Abschiedssinfonie".

Es ist schon ein Zaunpfahl, mit dem Joseph Haydn seine Musiker winken lässt: Zwei einsame Geiger beenden, so wehmütig wie verschmitzt, dieses Werk. Alle anderen Orchestermitglieder sind bereits verstummt. Wer sich jedoch allein auf das berühmte Ende dieser Sinfonie konzentriert, verpasst das vorbeethovensche Grummeln der drei vorausgehenden Sätze, die musikalisch eigentlich noch bestürzender sind.

Anders, als man vermuten könnte, ist die Sinfonie Nr. 45 mit dem berühmten „Abschied“ im Finale kein heiteres Stück, sondern das genaue Gegenteil: Sie gehört zu Haydns sogenannten „Sturm und Drang“-Sinfonien der Jahre um 1770. Die mürrische Tonart fis-Moll wurde von den Komponisten normalerweise vermieden. Denn mit ihren nächstverwandten Tonarten cis-Moll und h-Moll, mit der Dominante Cis-Dur und der Variante Fis-Dur stellte sie die Bläser des 18. Jahrhunderts vor etliche Probleme und blieb auch für die Streicher eine Herausforderung. Haydn hat diese Schwierigkeiten noch potenziert, indem er das Menuett in Fis-Dur (mit sechs Kreuzen als Vorzeichen) komponiert hat. Dort konnten seine beiden Hornisten wenigstens Naturhörner in Fis benutzen. Für die beiden Ecksätze in fis-Moll kam dies wegen der Mollterz aber nicht in Frage. Also mussten sie hier auf je einem Horn in A und E blasen. Schon der kunstvolle Einsatz der Naturtöne in den beiden langen fis-Moll-Sätzen ist bewundernswert. Mit seinem hochfürstlichen Orchester in Esterháza scheute Haydn keine Hürden.

Das erste Allegro steht im stürmischen Dreiertakt. Sein Dreiklangsthema wird von störrischen Synkopen untermalt. Generalpausen und plötzliche Forte-Piano-Kontraste unterstreichen noch den Eindruck eines von Verzweiflung getriebenen Gemüts. Deshalb gibt es im ganzen Satz auch keinen Ruhepunkt, nicht einmal im Seitenthema. Sforzato-Akkorde bündeln am Ende von Exposition und Reprise die angestaute Energie.

Das Adagio con sordini in A-Dur schafft eine wunderbare Gegenwelt zum mürrischen Kopfsatz: Die Streicher setzen die Dämpfer auf die Saiten und stimmen im lieblichen A-Dur ein galantes Thema an. Kurze Vorschläge und „lombardische“ Rhythmen machen diese Melodie im ruhigen 3/8-Takt zu einem typischen Produkt des Rokoko. Die Einsätze der Bläser sind so spärlich, dass der Schluss umso auffallender wirkt: Für drei Takte bleiben Hörner und Oboen mit den ersten Geigen allein.

Das Menuett in Fis-Dur beruht auf dem Wechsel von je zwei leisen und zwei lauten Takten im typischen Menuett-Duktus. Beim zweiten Forte allerdings kommen die Geigen ein Viertel zu spät, so dass die imaginären Tänzer komplett aus dem Tritt geraten. Im zweiten Teil sind es Überbindungen, die alle Menuett-Regelmäßigkeit über Bord werfen. Das Trio hat Haydn genutzt, um seinem Fürsten vorzuführen, wie schön zwei Naturhörner in Fis klingen können.

Das Finale ist ein wildes Presto im Stil von Carl Philipp Emanuel Bach, dessen Musik Haydn sehr bewunderte. Unerbittlich zieht das Thema seine Bahnen von der stürmischen Exposition über die trotzige Durchführung bis in die Reprise hinein, die sich plötzlich auf der Dominante Cis-Dur festrennt. Nach einer Generalpause setzt im Pianissimo ein liebliches Adagio in A-Dur ein. In sanften Triolen trottet es vor sich hin, bis ein Musiker nach dem anderen das Instrument und die Noten in die Hand nimmt und verschwindet: Der erste Oboist und der zweite Hornist machen den Anfang, gefolgt von den beiden Bläserkollegen. Dann geht der Kontrabassist ab, die hinteren Geigenpulte, die Cellisten. Zuletzt bleiben die beiden Konzertmeister mit einer Bratsche alleine. Sie setzen die Dämpfer auf die Saiten und spielen ihr Stück zu Ende, nachdem auch der Bratschist sie verlassen hat.  

1772 amtierte Haydn als Hofkapellmeister des sagenhaft reichen Fürsten Nikolaus von Esterházy in Ungarn, abwechselnd im Stadtschloss in Eisenstadt und im Landschloss Eszterháza. Letzteres, das ungarische „Versailles“, war von Fürst Nikolaus „dem Prachtliebenden“ so prunkvoll ausgebaut worden, dass sich die Sommer-Aufenthalte immer weiter in die Länge zogen - sehr zum Ärger der Hofmusiker, die auf dem Land ohne ihre Familien ausharren mussten. Am Ende des besonders langen Sommers 1772 kam es zu einer Krise, die Haydn auf seine Weise in Musik umgesetzt hat: im Finale der so genannten „Abschiedssinfonie“. Hier die Geschichte in der Fassung seines Biographien Griesinger:

„Unter der Kapelle des Fürsten Esterházy befanden sich mehrere junge, rüstige Ehemänner, die im Sommer, wo sich der Fürst auf seinem Schloss Esterháza aufhielt, ihre Weiber in Eisenstadt zurücklassen mussten. Gegen seine Gewohnheit wollte der Fürst einst den Aufenthalt um mehrere Wochen verlängern; die zärtlichen Eheleute, äußerst bestürzt über diese Nachricht, wandten sich an Haydn und baten ihn, Rath zu schaffen. Haydn kam auf den Einfall, eine Symphonie zu schreiben, in welcher ein Instrument nach dem anderen verstummt. Diese Symphonie wurde bei der ersten Gelegenheit der Gegenwart des Fürsten aufgeführt, und jeder von den Musikern war angewiesen, so wie seine Partie geendigt war, sein Licht auszulöschen, die Noten zusammen zu packen, und mit seinem Instrumente unter dem Arm fortzugehen. Der Fürst und die Anwesenden verstanden den Sinn dieser Pantomime sogleich, und den andern Tag erfolgte der Befehl zum Aufbruch von Esterháza.“

Die fürstlichen Akten scheinen diese Anekdote zu bestätigen: Im Januar 1772 hatte der Fürst verfügt, dass nur Kapellmeister Haydn und Konzertmeister Tomasini mit ihren Familien nach Esterháza reisen durften, die übrigen Kapellmitglieder nicht. Genau aus diesem Grunde endet die „Pantomime“ der nach und nach abgehenden Musiker im Finale der Sinfonie Nr. 45 mit einem Duett der beiden Geigen: Haydn und Tomasini blieben alleine auf dem Podium zurück. Tatsächlich mussten sie dann auch als einzige in jenem Sommer zusammen mit dem Fürsten in Esterháza ausharren.

Haydns berühmter Finalsatz hat es 2009 sogar ins Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker geschafft. Daniel Barenboim ist hier als verzweifelter Dirigent zu erleben:

www.youtube.com/watch

Und hier noch ein Mitschnitt der kompletten Sinfonie mit der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Patricia Kopatchinskaja, aufgezeichnet am 12. Dezember 2021 im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie:

www.youtube.com/watch FaX 8&t=2s

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd