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24.05.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 631

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

unser heutiges Musikstück ist wieder mal ein Chorwerk: Anton Bruckners Messe Nr. 3 f-Moll.

1867 erlitt der Komponist, der schon länger unter Depressionen und Selbstzweifeln litt, einen herben Schicksalsschlag: Sein Drang, sich Unmengen an Wissen und Fähigkeiten anzueignen, führte zu einer klinischen Manie, die Bruckner zwang, alles zu zählen. Es folgte ein Aufenthalt in einem Sanatorium mit mehrmonatiger ärztlicher Behandlung. Als der Komponist endlich wieder genesen war, begann er im September 1867 seine dritte Messe zu schreiben.

Anton Bruckners f-Moll-Messe entstand bis 1868 noch in Linz, aber schon mit Blick auf eine Uraufführung in der Wiener Hofburgkapelle, die allerdings, da der Hofkapellmeister Johann von Herbeck das Werk für „zu lang und unsingbar“ hielt, erst 1872 unter Mitwirkung der Hofmusikkapelle und geleitet vom Komponisten in St. Augustin stattfinden konnte.

Die Messe begleitete Bruckner bis in seine letzten Lebensjahre hinein. Über einen Zeitraum von rund 25 Jahren unterzog er sie immer wieder kleineren und größeren Revisionen. Wie sehr sie ihm am Herzen lag, zeigt ein Brief an den Dirigenten Siegfried Ochs vom 14. April 1895, in dem es heißt: „Der Bruckner wird alt und möchte doch so gern noch die f-Moll-Messe hören! Bitte, bitte! Das wäre der Höhepunkt meines Lebens.“

Die f-Moll-Messe ist Teil eines kirchenmusikalischen Schaffens, das Bruckner als versierten Komponisten dieses Genres ausweist. 1848/1849 schuf er ein Requiem, 1852 ein Magnificat, 1863 die Vertonung von Psalm 112 sowie einige Messen, von denen die Missa solemnis aus dem Jahr 1854 hervorsticht. Seine großen Messvertonungen in d-Moll, e-Moll und f-Moll stellen den Schritt hin zur Sinfonik dar: „Zwischen 1864 und 1868 bricht es gleichsam aus Bruckner heraus, was er so lange hat zurückhalten müssen“, schreibt der Musikhistoriker Dietmar Holland: Setzte Bruckner in der zweiten Messe nur ein Blasorchester ein, enthalten die groß besetzten Schwesterwerke Partien sinfonischer Steigerungswellen. Mit ihnen folgte Bruckner der Tradition der großen Orchestermessen, die in der Missa solemnis Ludwig van Beethoven gipfelte.

Die Dreiteiligkeit des Credo, Reprisen-Abschnitte in Kyrie, Gloria und Credo sowie große Schlussfugen erinnern an die Vorbilder Joseph Haydn oder Franz Schubert. Gerade in der f-moll-Messe treibt Bruckner die traditionelle Fugentechnik in dynamisch-drastische Extreme, wie man sie seit Beethoven nicht mehr gehört hatte. Für viele Zeitgenossen überschritt die Musik hier die Grenze zum Theatralischen. Holland sieht die stilistische Weiterentwicklung aber vor allem in einer deutlichen Vertiefung des Ausdrucks und der emotionalen Schwere sowie im Wechsel von flehender, demütiger Gestik und geradezu provokanten Steigerungen, die in exorbitanten Höhepunkten aufgehen. Das Orchester wird mit voller Streicherbesetzung sinfonisch verwendet, zum Chor treten vier Gesangssolisten, die das Geschehen entscheidend mitbestimmen.

Holland betont: „Bruckner gelang es in seinen drei großen Messen, musikalisch den Himmel zu öffnen.“ Dabei baue er auf „den alten kontrapunktischen Geist der Fuge in ganz neuem klanglichen Gewand - mit einer Kühnheit, die nichts mehr vom Rückgriff auf bewährte, autoritäre Satztechnik hat, sondern der Fuge völlig unbekannte, dynamische Seiten abgewinnt“. Ihren versöhnenden Ausgleich findet die Messe schließlich im Dona nobis pacem: Das Thema des Kyrie erklingt in den Holzbläsern jetzt in Dur, wird vom Chor aufgegriffen und gesteigert, um schließlich in energiegeladenem Optimismus die Bitte um Frieden zum Thema der Gloria-Fuge unsiono aufzugreifen.

Am 16. Juni 1872 erfuhr die f-Moll-Messe in der Wiener Augustinerkirche schließlich ihre Uraufführung. Über eine Aufführung im Juni 1883 schrieb der Kritiker Hans Woerz in der Wiener Allgemeinen Zeitung, die Messe sei ein „zweifellos geniales Werk“ und gehöre zu dem Besten, das Bruckner komponiert habe: „Sie ist mit einem Verständnis von Polyphonie, mit einer unerschöpflichen Phantasie und einer Beherrschung der Instrumente geschrieben, wie sie nur die größten Meister besaßen.“  

Gerne hätte ich Ihnen als Einstimmung den Film "Celibidache in St. Florian - Bruckners Messe f-Moll" von Jan Schmidt-Garre mit zahlreichen Probenausschnitten empfohlen - aktuell ist bei youtube leider nur der Trailer verfügbar:

www.youtube.com/watch

Zwei Mitschnitte empfehle ich Ihnen heute sehr gerne, zunächst aus dem Münchner Herkulessaal der Münchner Residenz: Sally Matthews, Karen Cargill, Ilker Arkayürek, Stanislav Trofimov sowie Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks musizierten 2019 unter der Leitung von Mariss Jansons:

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich ein Mitschnitt vom Abschlusskonzert des Schleswig-Holstein Musik Festival 1996 in St. Marien, Lübeck. Es musizierten Angela Maria Blasi, Cornelia Kallisch, Herbert Lippert, Franz-Josef Selig, der NDR Chor (das heutige NDR Vokalensemble), der Dänische Rundfunkchor und das NDR Sinfonieorchester (heute: NDR Elbphilharmonie Orchester) unter Leitung von Herbert Blomstedt:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd