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13.05.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 775

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

aus organisatorischen Gründen kommt diese Ausgabe einen Tag früher als gewohnt in Ihr Postfach. Heute erwartet Sie ein ungewöhnliches Violinkonzert des 20. Jahrhunderts: Die Serenade von Leonard Bernstein.

1953/54 schrieb der Dirigent und Komponist Leonard Bernstein seine Serenade nach Platons "Symposion" - eines seiner persönlichsten Werke, in dem die Liebe in all ihren Facetten unter die Lupe genommen wird. Es ist ein echtes Violinkonzert: In fünf Sätzen stellt Bernstein das mal verführerische, mal sehnende, mal neckische, mal leidenschaftliche Soloinstrument in den Fokus. Die passende Vorlage war "Das Gastmahl", ein Text Platons, in dem der griechische Philosoph die Reden eines offenbar feucht-fröhlichen Abends dokumentiert hatte. Das Thema: Die Erotik.

Und so entstanden unter Bernsteins Feder musikalische Porträts der Philosophen-Freunde Platons. Das halbstündige, in Venedig mit Isaac Stern uraufgeführte Werk beginnt mit der Solovioline, die thematisches Material vorstellt, welches in allen fünf Sätzen eine Rolle spielen wird. Obwohl immer wieder betont wurde, dass das Werk keine Programmmusik im eigentlichen Sinne sei, folgt die Serenade bereits in formaler Hinsicht der Platonischen Vorlage minutiös. Mit den Namen der einzelnen Wortführer überschrieben, zeichnen die fünf Sätze nicht nur die Folge der Rednerauftritte nach, sondern charakterisieren zudem jeweils die  Persönlichkeit des Vortragenden und den Inhalt seiner Rede. Phaedrus eröffnet die Diskussion, indem er Eros, den Gott der Liebe, preist. Pausanias übernimmt das Wort und beschreibt den Liebenden als solchen, der auch selbst geliebt werden will. Der zweite Satz, in dem Aristophanes an der Reihe ist, strahlt mehr Ruhe aus. Das passt, denn sein Thema ist das Märchenhafte der Liebe, der Monolog hat den Charakter einer Gute-Nacht-Geschichte. Es folgen ein feuriges Presto, in dem Erixymachos durchaus humorvoll von der körperlichen Harmonie zweier Liebender berichtet, sowie ein dreiteiliges Lied von Agathon. Sokrates und Alcibiades beschließen die Serenade und beschreiben unter anderem das Dämonische der Liebe.

"Die Musik ist wie der Dialog eine Reihe von zusammenhängenden Äußerungen zur Feier der Liebe", beschrieb Bernstein selbst sein Werk. Das ist höchst kunstvoll gemacht: Genauso wie jeder gute Redner bei einer Diskussion Gedanken seines Vorredners aufnimmt, aber auch Eigenes, Neues beisteuert, entwickelt sich hier jeder Satz aus Elementen des vorigen. Themen werden aufgegriffen, dann aber zu Begleitmotiven verwandelt, um neuen Gedanken Platz zu machen. Bartók und Strawinsky als unverkennbare Vorbilder treffen auf Bernsteins unkonventionellen Stilmix, der im Finale einen, wie der Komponist selbst schrieb, „hint of jazz“ enthält.

Die Geigerin Midori hat zu Leonard Bernsteins Serenade eine ganz persönliche Beziehung. Im Interview erzählt sie, worum es in dem Stück geht und wie Bernstein selbst es ihr als 13-jährige Geigerin beigebracht hat:

www.youtube.com/watch

Hier nun der Konzertmitschnitt von Leonard Bernsteins Serenade mit Midori und dem WDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Constantinos Carydis, aufgezeichnet am 22. September 2023 in der Kölner Philharmonie:

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich: Janine Jansen mit dem London Symphony Orchestra unter der Leitung von Sir Antonio Pappano, aufgezeichnet 2017 im Londoner Barbican Center:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd