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23.07.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 804

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

auch an diesem Mittwoch steht die Gattung Streichquartett im Mittelpunkt, diesmal ein Werk aus Frankreich: Claude Debussys Streichquartett g-Moll op. 10.

Debussys Streichquartett - sein erstes reifes Kammermusikwerk - gilt als typisch französische Musik. Daneben haben aber auch andere Einflüsse zum Stil des 1893 entstandenen Werks beigetragen. Fünf Jahre zuvor hatte der Komponist - wie schon früher - Bayreuth besucht und Wagners "Parsifal" erlebt, was ihn sehr beeindruckte. Anlässlich der Pariser Weltausstellung 1889 begegnete ihm javanesische Gamelanmusik, die erstmals in Europa zu erleben war. Alle diese Elemente hat Debussy zu einer eigenen Klangsprache zusammengefügt, welche ihren Reiz und ihre Eigenständigkeit ausmachen. Akademische Formen mochte Debussy nicht. Seine besonderen Klangfarben und der freie Umgang mit der Form führten zu einem eigenen Stil. Die vier Sätze sind alle aus dem Hauptthema des Kopfsatzes entwickelt, das mit den drei Tönen g - f - d beginnt. Dies geschieht aber nicht in Form der klassischen Durchführungstechnik, sondern indem derselbe Gedanke immer wieder mit exotischen Klängen und mit gleitenden Instrumentalfarben umspielt wird. Dazu kommt eine ungewohnte Rhythmik, die das Publikum der ersten Aufführung ebenso irritierte wie die neue Klanglichkeit. 

Zudem zeichnen sich zwei weitere Einflüsse ab: die russische Musik (insbesondere Alexander Borodin wäre hier zu nennen) sowie die zyklischen Formen und der harmonische Fluss César Francks. Bei der Uraufführung am 29. Dezember 1893 durch das Quartett von Eugène Ysaÿe in der Pariser Société nationale de musique wurde das Werk zum Erfolg. Der belgische Kritiker Octave Maus schrieb in "L’Art Moderne", die Musik offenbare „eine äußerst verführerische Kunst, zugleich einfach und komplex“, und bemerkte, das Scherzo sei „köstlich in seiner Anmut und Genialität“. Ein weiterer früher Bewunderer war Paul Dukas, der schrieb, der langsame dritte Satz sei wahrhaft exquisit in seiner Poesie und der höchsten Feinheit der Gedanken. Das Werk beeinflusste auch jüngere französische Komponisten, vor allem Ravel, dessen Quartett von 1902/03 sich stark an Debussys Vorbild orientiert.

Der erste Satz beginnt mit einem modalen Thema, welches das gesamte Werk dominiert. Während andere Motive in der Exposition kommen und gehen, führt Debussy erst am Ende des ersten Satzes ein lyrischeres zweites Thema ein, das dann anstelle einer konventionellen Durchführung variiert wird. Die Reprise bietet weitere Variationen der beiden Hauptmotive. Als zweiter Satz folgt ein Scherzo, dem das Hauptthema des ersten Satzes in umgearbeiteter Form und mit neuem Rhythmus zugrunde liegt. Das vielleicht auffälligste Charakteristikum dieses Satzes sind die schillernden Farben und der Erfindungsreichtum von Debussys Streichersatz. Die Atmosphäre des langsamen Satzes wurde von Edward Lockspeiser als „tranceartige Stimmung des Sinnierens“ beschrieben, während im Finale das Hauptthema des Werks in weiteren neuen Formen erklingt und das Quartett zu einem berauschenden Abschluss bringt. Vielleicht in Anbetracht der Ernsthaftigkeit mit der ein Streichquartett vorgelegt werden sollte, gab Debussy ihm eine völlig falsche Opuszahl (op. 10) und bezeichnete es optimistisch als sein „1er Quatuor“, doch sollte es sein einziges Quartett bleiben. Das Versprechen an seinen Freund Ernest Chausson, ein zweites Quartett zu komponieren, löste er nie ein.

Zwei Mitschnitte empfehle ich Ihnen heute, zunächst das Animato Quartett aus den Niederlanden mit seinem Beitrag beim Internationalen Kammermusik-Wettbewerb in Trondheim 2021:

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich noch das Guarneri Quartet, aufgezeichnet 1987 im Weinbrenner-Saal in Baden Baden:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd