Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
viel zu selten wird unser heutiges Musikstück aufgeführt: Das Gloria von Francis Poulenc.
Nach dem Tod seiner Frau Natalie im Jahr 1942 hatte der Dirigent Serge Koussevitzky zu ihrem Gedenken die Koussevitzky Music Foundation gegründet, die große Werke des 20. Jahrhunderts in Auftrag gab, darunter das Konzert für Orchester von Béla Bartók, die Oper "Peter Grimes" von Benjamin Britten, die dritte Sinfonie von Aaron Copland, das Streichquartett "Ainsi la nuit" von Henri Dutilleux oder Olivier Messiaens Turangalîla-Sinfonie.
Die in den USA ansässige Stiftung setzte ihre Arbeit zur Unterstützung des zeitgenössischen Schaffens nach Koussewitzkys Tod im Jahr 1951 fort. So schlug sie acht Jahre später Francis Poulenc vor, ein neues Werk zu schreiben. „Zuerst baten sie mich um eine Sinfonie. Ich sagte ihnen, dass ich nicht für Sinfonien geeignet sei. Dann baten sie mich um ein Orgelkonzert. Ich sagte ihnen, dass ich bereits eines gemacht hatte und kein weiteres schreiben wollte. Schließlich sagten sie zu mir: „Gut, dann mach, was du willst!“
Während der Tod seines Vaters im Jahr 1917 Poulenc vom Katholizismus seiner Kindheit distanziert hatte, führte ihn der Tod des Komponisten Pierre-Octave Ferroud, der 1936 bei einem Autounfall ums Leben kam, zu einer Pilgerreise nach Rocamadour, die seinen Glauben wiederbelebte und ihn zum ersten seiner religiösen Werke, der Litanei zur Schwarzen Madonna, inspirierte. Seine Hingabe an Maria findet sich auch in einem Salve Regina wieder, insbesondere in seinem ergreifenden Stabat Mater, das zum Gedenken an den Maler und Dekorateur Christian Bérard geschrieben wurde. Der Komponist, der 1937 eine Messe in G-Dur verfasste, die naturgemäß ein Gloria enthält, verwendet 1959 in seinem Gloria dieselbe Tonart.
"Jetzt ist es nötig, sich auf das Gloria zu richten. Genug Schmerz, genug Leidenschaft! Zugegeben, vom Stabat Mater an bis zur Voix Humaine war das Leben nicht zum Lachen, aber ich denke, dass all die schmerzlichen Erfahrungen zu meiner Bewährung nötig waren. Jetzt ist es genug, Friede!.... Friede!" Poulenc spielt in diesem Brief vom Juni 1959 an Simone Girard auf die Verluste aus seinem Freundeskreis in den vergangenen zehn Jahren an: Jacques Thibaud, Paul Eluard, Arthur Honegger, sein Partner Julien Roubert und andere mehr.
Das Gloria - von Poulenc als große Chor-Sinfonie betitelt - besteht aus sechs Sätzen, die einer klaren Anordnung folgen. Satz 1 und 6 erinnern an Strawinskys Psalmensinfonie, stimmen auch in Tempo und Charakter überein, 2 und 5 sind äußerst lebhaft, wobei das kecke "Laudamus te" einen Skandal verursachte, der für Poulenc unverständlich war: "Ich habe einfach, als ich das Laudamus komponierte, an jene Fresken von Gozzoli gedacht, auf denen die Engel die Zunge herausstrecken, und auch an jene ernsten Benediktinermönche, die ich eines Tages beim Fußballspiel gesehen habe", rechtfertigte sich der Komponist seinerzeit.
Der dritte und vierte Satz, beide mit Sopransolo und sehr langsam, kontrastieren deutlich und vermitteln Poulencs aufrichtige und tiefe Religiosität. Das Finale führt nach einer feierlichen a-cappella-Einleitung zu heiterer Besonnenheit. Der "Mönch" (le moine) Poulenc und der "Lausbube" (le voyou) Poulenc leben somit im Gloria in vollendeter Seligkeit.
Drei Mitschnitte stelle ich Ihnen heute gerne zur Auswahl, zunächst vom 19. Dezember 2010 aus dem Amsterdamer Concertgebouw mit Claudia Patacca (Sopran), dem Groot Omroepkoor und dem Radio Filharmonisch Orkest unter der Leitung von Hans Graf:
Am 8. November 2019 musizierten im Utrechter TivoliVredenburg Elsa Benoit (Sopran), der Netherlands Radio Choir und das Radio Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Peter Dijkstra:
Lauren Michelle (Sopran), der Chœur de Radio France und das Orchestre Philharmonique de Radio France unter der Leitung von Mikko Franck musizierten Poulencs Gloria am 12. Oktober 2019 im Pariser Auditorium de Radio France:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler