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28.09.2023 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 533

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

heute stelle ich Ihnen eine Sinfonie vor, die den Beinamen "Lied der Nacht" erhielt: Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 7 e-Moll, ein Werk voller Gegensätze, mit düsteren Nachtmusiken, das aber strahlend und majestätisch endet.

"Sinfonien heißt bei mir, mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen", so Gustav Mahler. Eine ganz eigene musikalische Welt hat er in seinen Sinfonien erschaffen, eine Welt, die extreme Gefühle und Stimmungen ausdrückt. Schönheit und Morbidität, Groteskes und Triviales, Volkstümliches und Militärisches, göttliche Sphären und menschliche Abgründe, Liebe und Tod - all das prägt auch die siebte Sinfonie. Mahler selbst bezeichnete seine Siebte als ein Werk mit vorwiegend "heiterem, humoristischem Inhalt". Der letzte Satz beginnt und endet in strahlendem C-Dur.

Die für eine Sinfonie ungewöhnliche Anzahl von fünf Sätzen ermöglicht ihm einen runden Aufbau: An die Stellen zwei und vier setzt er Nachtmusiken, die ein Scherzo umrahmen (der Beiname "Lied der Nacht" stammt übrigens nicht von ihm selbst). Zu der ersten Nachtmusik, einer Art romantischen Marsches, soll Rembrandts "Nachtwache" Anstöße gegeben haben. Und tatsächlich befinden wir uns hier in einer musikalischen Zwischenwelt. Die Wesen, die im Dämmerlicht vorbeihuschen, sind unheimlich - Mahler arbeitet mit harmonischen Undeutlichkeiten, manchen Vorzeichen und deren prompten Auflösungen. Ähnlich schemenhaft ist das Scherzo. Mahler ist hier bei einer seiner Meisterdisziplinen angekommen: Dem Totentanz, der hier besonders skurril daherkommt; "Schattenhaft" lautet die Anweisung in der Partitur.

Mit der zweiten Nachtmusik kehrt er in die romantische Realität zurück: Hier singt ein schmachtender Liebhaber sein Ständchen. Zu hören sind - eher ungewöhnlich in der spätromantischen Sinfonik - Gitarren- und Mandolinenklänge sowie eine schwelgerische Cello-Melodie. Im abschließenden Rondo-Finale ist Mahler dann kaum wiederzuerkennen. So heiter, so hell ist der Satz. War die Mitte des Werkes nächtlich geprägt, leuchtet hier der Tag. Das Thema, das die Hörner und Trompeten zu Anfang des Satzes markieren, ist in seiner C-Dur-Schlichtheit und mit seinem klaren Marschrhythmus beinahe schon provokant simpel. Und mit dem aus dem ersten Satz bekannten Hauptthema schließt die Sinfonie so voller Kraft, als wollte Mahler das Glück parodieren. Wie auch immer: Hier ist man Mensch, hier darf man's sein!  

Gustav Mahler komponierte die beiden Nachtmusiken 1904, die anderen drei Sätze ein Jahr später, in schönster Umgebung am Wörthersee. Zunächst quälte er sich beim Komponieren, doch bei einer Bootsfahrt kam ihm der rettende Einfall: "Beim ersten Ruderschlag fiel mir das Thema (oder mehr der Rhythmus und die Art) der Einleitung zum ersten Satz ein - und in vier Wochen waren erster, dritter und fünfter Satz fix und fertig", schrieb Mahler in seinen Erinnerungen. Am 19. September 1908 wurde die Sinfonie in Prag unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt.  

Drei große Mahler-Dirigenten habe ich für Sie heute ausgewählt, zunächst Sir Michael Tilson Thomas mit dem San Francisco Symphony, aufgezeichnet am 2. September 2007 bei den BBC Proms in der Londoner Royal Albert Hall:

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich: Claudio Abbado mit dem Lucerne Festival Orchestra, aufgezeichnet 2005 im Luzerner Musik- und Kongresszentrum:

www.youtube.com/watch

Und zuletzt die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Leonard Bernstein, aufgezeichnet 1974 im Wiener Musikverein:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd