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26.04.2023 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 467

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

eines der populärsten Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy soll Sie heute durch den Tag begleiten: Die Sinfonie Nr. 4 A-Dur op. 90, auch als "Italienische" bekannt.

Sie gehörte einfach für den Adel und das gehobene Bürgertum dazu: Die Bildungsreise, deren ultimativer Höhepunkt Italien war. Auch der junge Felix Mendelssohn Bartholdy wurde von seinem Vater im Mai 1830 auf diese Grand Tour geschickt. Über Weimar - wo er Goethe traf - ging es nach München und Wien und schließlich nach Venedig, Florenz, Rom und Neapel. Eineinhalb Jahre war der junge Komponist unterwegs, berauscht von den vielen Eindrücken, die er in zahlreichen Briefen festhielt. Mendelssohn dürstete nach Bildung und war besessen von der Besichtigungswut, dazu studierte er Notenhandschriften und fertigte handschriftlich Kopien von alten Meistern an. Erstaunlich ist, dass er daneben noch Zeit fand, intensiv zu komponieren. Die Ouvertüre "Die Hebriden" entstand hier, und er erhielt Inspirationen für seine "Italienische".   

Euphorisch und wie in einem Rausch muss sich Felix Mendelssohn Bartholdy gefühlt haben, als er zum ersten Mal italienischen Boden betrat. Gleich zu Beginn des Eröffnungssatzes seiner vierten Sinfonie zieht er alle Register dieser Begeisterung und reißt den Hörer mitten hinein in einen Strudel temperamentvoller Lebenslust und Heiterkeit. Die repetierenden Holzbläser sind der Pulsschlag in diesem lebendig gewordenen sonnendurchfluteten Gemälde und lassen den ausladenden Violinen großzügig Raum, diese bezaubernde südländische Landschaft bunt und leuchtend einzufärben. Kein Zweifel: Felix Mendelssohn Bartholdy lässt uns hier alle Freiheit der Fantasie.

Eine ganz andere Stimmung schlägt uns im zweiten Satz entgegen. Waren die aufbrausenden Violinen im Eröffnungssatz kaum zu bändigen, müssen sie sich jetzt einer einfachen, fast simplen Liedstruktur beugen. Der Satz basiert unüberhörbar auf dem Lied "Es war ein König in Thule" - eine Hommage an Goethe und an seinen Kompositionslehrer Carl Friedrich Zelter. Die Bässe im Hintergrund geben dabei unerbittlich fast wie mit erhobenem Zeigefinger den monotonen Rhythmus an. Werden hier etwa die "Leichensteine" beschrieben, die "verfallenen, maroden Paläste Venedigs", deren düsteren Stimmung sich Mendelssohn nicht entziehen konnte, und die ihn "verstimmt und traurig" gemacht haben - einer der "Wermutstropfen" dieser Reise?

In lieblichster römischer Frühlingsluft skizzierte Mendelssohn seine neue Sinfonie, die erst bei der Londoner Uraufführung den Namen "Italienische" tragen sollte. Hier ist neue Kreativität und Mut spürbar, denn ein Menuett als dritter Satz war bei Mendelssohn zu diesem Zeitpunkt ein schon quasi ad acta gelegtes "Relikt" seiner Anfängerjahre. War der bewusste Verzicht auf das übliche Scherzo ein gekonnter Schachzug? Ein bezauberndes luftiges Menuett, ganz nach klassischer Manier, lässt nach der gewissen Düsterkeit des zweiten Satzes erst einmal erleichtert aufatmen und ist eben auch die "mildere" Variante, um auf ein rasantes Finale vorzubereiten. Es steht nicht in der zu erwartenden Grundtonart A-Dur, sondern in deren Moll-Variante und ist nach dem aus Rom stammenden lebhaften Springtanz als "Saltarello" (saltare = springens) bezeichnet.

Im Februar 1831 schrieb Mendelssohn an seine Schwester Fanny: "Überhaupt geht es mit dem Componieren jetzt wieder frisch. Die "italienische'"Sinfonie macht große Fortschritte; es wird das lustigste Stück, das ich gemacht habe."  Wie so oft bei Mendelssohn war der Kompositionsprozess mühsam und lang. Die Uraufführung fand erst am 13. Mai 1833 in London statt. Auch danach feilte Mendelssohn weiter an seiner Sinfonie; die deutsche Erstaufführung fand am 1. November 1849 im Leipziger Gewandhaus unter der Leitung von Julius Rietz statt. Der selbstkritische Mendelssohn und ewige Zweifler hätte sicherlich große Freude daran gehabt, dass gerade dieses Werk, das "musikalische Tagebuch" einer "unglaublichen Reise" in den Süden, bis heute eines der meistgespielten Werke in den Konzertsälen dieser Welt ist.

Zwei Mitschnitte empfehle ich Ihnen heute gerne, zunächst aus dem Jahr 1992 aus der Münchner Philharmonie mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Sir Georg Solti:

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich: Das WDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Krzysztof Urbański, aufgezeichnet am 6. November am 2020 in der Kölner Philharmonie:

www.youtube.com/watch

Die nächste Ausgabe erhalten Sie in der kommenden Woche erst am Dienstag. Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd