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12.11.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 848

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

wie bereits vor einigen Tagen angekündigt, erreicht Sie heute der erste von drei Hinweisen auf unsere Musikfilm-Reihe "Faszination Klassik", die auch in diesem Jahr wieder stattfindet - allerdings in leicht veränderter Form. In einer Sonderausgabe laden wir Sie vom 10. bis 12. November an drei aufeinander folgenden Abenden in der Stadtkirche Königslutter, jeweils um 19:30 Uhr, ein. Der Eintritt ist wie gewohnt frei, Spenden für die Kirchenmusik in der Propstei Königslutter werden am Ausgang erbeten. Der Einlass beginnt jeweils um 19:00 Uhr.

In dieser Woche stelle ich Ihnen kurz die Filme vor und ergänze zugleich weitere Musikempfehlungen mit der Hauptperson des jeweiligen Abends. "Faszination Klassik" beginnt mit einem großartigen Porträt über den Dirigenten Herbert Blomstedt:

Montag, 10. November 2025, 19:30 Uhr, Stadtkirche, Königslutter

Herbert Blomstedt – "Wenn die Musik tönt, wird die Seele angesprochen"

Dokumentation von Paul Smaczny (2022)

Herbert Blomstedt ist omnipräsent auf den Konzertpodien dieser Welt; bis heute tourt der 98-jährige als Dirigent zahlreicher Spitzenorchester um den Globus. Sein dirigentischer Esprit, seine Kunst, seine musikalische Ethik, seine Empathie im Umgang mit Menschen generell und mit Orchestermusikern im Besonderen, haben ihn längst zu einer lebenden Legende werden lassen. Das Portrait entstand zwischen seinem 90. und 95. Geburtstag. Es begleitet Herbert Blomstedt bei der Arbeit mit ausgewählten Orchestern, mit denen er bis heute regelmäßig zusammenarbeitet und beobachtet den begnadeten Kommunikator bei Probenarbeit und im Konzert. Das Portrait eines uneitlen Künstlers, der die klassische Musikwelt über Jahrzehnte hinweg entscheidend mitgeprägt hat und bis heute prägt.

Und in "Musik in schwierigen Zeiten" steht heute Carl Nielsens Sinfonie Nr. 5 op. 50 im Mittelpunkt.

Ohne Carl Nielsen wären die Dänen um zahlreiche bis heute allgemein bekannte Volks- und Kirchenlieder sowie einen traditionellen Neujahrsgruß im Rundfunk ärmer, mehr noch: ohne Nielsen hätte dem in der Musikgeschichte sonst kaum beachteten skandinavischen Land ein „Nationalkomponist“ vom Rang eines Sibelius aus Finnland oder Grieg aus Norwegen gefehlt. Dabei ist der Grund für diese internationale Wahrnehmung natürlich weniger in den außerhalb Dänemarks kaum beachteten Liedern Nielsens zu suchen als vielmehr in seinen sechs Sinfonien. Mit ihnen legte der einstige Geiger und langjährige Dirigent am Königlichen Theater in Kopenhagen ein überaus persönliches künstlerisches Kompendium vor, das ihn zu einer echten Ausnahmeerscheinung macht. Gespeist von seinen vielfältigen Erfahrungen als Musiker, seiner blühenden Fantasie und seinem sprühenden Temperament sowie nicht zuletzt seinem Humor, schuf er eine unverwechselbare Musiksprache, die Tradition und Moderne, Spätromantik und Expressionismus auf originelle Weise verbindet. 

Wer das sinfonische Schaffen Nielsens nun erstmals über die fünfte Sinfonie kennenlernt, bekommt zwar einerseits eine typische Kostprobe dieses einzigartigen Stils serviert. Die im einleitenden Zitat sofort erkennbare humoristische, fröhliche Ader des Komponisten wird man andererseits wohl zunächst vermissen. Stimmung und Tonsprache dieser gewagtesten Sinfonie unter den Sechsen lässt über weite Strecken eher an Dmitri Schostakowitsch oder Sergej Prokofjew denken, die ihre bekanntesten Sinfonien unter dem Eindruck von Krieg und Verfolgung schrieben - wenn auch wohlgemerkt erst gut 20 Jahre später! Verantwortlich für die oft zu lesende Deutung, Nielsen habe in seiner 1922 vollendeten Fünften den Zweiten Weltkrieg vorausgeahnt (oder wahrscheinlicher: den Ersten reflektiert), ist vor allem der besondere Einsatz der Kleinen Trommel im ersten Satz. Sie mischt sich mit ihrem schnarrend militärischen Ton derart unvermittelt als „Störenfried“ in die Musik, zeigt sich überdies mit einer frei improvisierten Passage derart „rücksichtslos“ dem restlichen Orchester gegenüber, dass  man Nielsens in der Heimat so enthusiastisch  gefeierte Fünfte bei einer Aufführung in Stockholm 1924 gar tumultartig auspfiff… 

Dass der Komponist an „schmutzige Grabenmusik“ gedacht haben mag - wie ein Freund spekulierte -, kann für diese Ablehnung indes kaum der Grund gewesen sein. Und vielleicht hatte die Präsenz der Trommel für Nielsen tatsächlich auch gar keinen weltgeschichtlichen Hintergrund; vielmehr darf man sie als weiteren persönlichen, unkonventionellen Stellvertreter eines Künstlers verstehen.„ Ich habe viel darüber nachgedacht, dass man in der alten Sinfonieform das meiste von dem, was man auf dem Herzen hatte, immer im ersten Allegro sagte. Dann kam das ruhige Andante, das als Gegensatz wirkte, dann aber wieder das Scherzo, das man wieder zu hoch ansetzte und so die Steigerung im Finale zerstörte, wo die Gedanken dann allzu oft erschöpft sind.“ So äußerte sich Nielsen in einem Zeitungsinterview am Uraufführungstag der Fünften -  und genau in diesem Sinne hatte er für das Werk auch eine Form gewählt, für die es kein Vorbild gab. Denn nicht nur der Umgang mit der Trommel musste als kühn wahrgenommen werden, auch eine Sinfonie mit nur zwei (statt vier oder drei) Sätzen hatte man so noch nicht gesehen.  

Selbst diese Zweisätzigkeit aber ist keine gewollt neuartige Spielerei Nielsens, sondern Zeugnis einer persönlich empfundenen Polarität, die sich im Großen wie im Kleinen ausdrückt. Den zwei Sätzen entsprechen nämlich zwei Kräfte, die in der gesamten Komposition gegeneinander wirken. Nielsen selbst sprach von der „Kraft der Ruhe gegenüber der Kraft des Aktiven“ oder von „Träumen und Taten“. Wer es greifbarer haben will: Die Fünfte repräsentiert so etwas wie den ewigen Kampf zwischen Dunkel und Hell, zwischen Gut und Böse. Nachdem sich im ersten Satz ein beinahe Brucknerscher Streicherteppich, eine Fagottmelodie sowie ein sanft wiegender Streichergesang ausgebreitet haben, greifen bald die „dunklen Kräfte“ in Form der Trommel und der Klarinette ein. Nachdem diese erste verstörende Episode verloschen ist, setzt ein betont schönes Adagio-Thema mit pathetischer Steigerung ein, als ob alles wieder gutgemacht werden sollte. Doch bäumt sich die Musik bald zu einer Klimax auf, bei der der Trommler laut Partituranweisung „auf eine Art und Weise  improvisieren“ soll, „als ob er um jeden Preis den Fortschritt des Orchesters aufhalten möchte“. Tatsächlich behalten die in der Ferne verschwindenden subversiven Kräfte der Klarinette und Trommel selbst nach dem trügerisch glänzenden Ende das letzte Wort… 

Im zweiten Satz scheint sich dann zunächst die „Kraft des Aktiven“ in Form eines durchaus optimistischen Allegro-Themas und einer Oboenmelodie zu manifestieren, doch zerschlägt sich im Anschluss jede Hoffnung auf vertraute (Sonatensatz-)Bahnen: Zwei Fugen geben sich als getriebener Scherzo- bzw. als fahl herumirrender Andante-Satz aus - und erreichen nicht die erhoffte Stabilität. Die Art und Weise, wie der triumphale Dur-Schluss des Werks dem Publikum von der Pauke geradezu eingehämmert werden muss, nimmt dann nicht nur die tragische Wirkung des erzwungenen Jubels in Schostakowitschs Fünfter vorweg. Sie ist am Ende wohl doch noch ein Resultat jenes typisch dänischen Humors, wie ihn Herbert Blomstedt beschreibt: „sehr ernst und zugleich sehr lustig und doch erhaben“.

Hier der Mitschnitt dieser Sinfonie vom 8. Juni 2023 aus der Hamburger Elbphilharmonie mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Herbert Blomstedt:

www.youtube.com/watch

Und wer noch bekanntere Stücke mit dem Maestro erleben möchte, zugleich aber auch ihn und sein Musikverständnis kennenlernen möchte, dem seien noch die folgenden drei Links empfohlen von einem besonderen Konzertabend empfohlen:

Das Gewandhausorchester Leipzig und die Sächsische Staatskapelle Dresden gaben am 15. September 2018 ein gemeinsames Konzert unter der Leitung von Herbert Blomstedt. Anlass für dieses gemeinsame musikalische Statement waren gesellschaftliche Entwicklungen, die die Mitglieder der Orchester und ihrer Trägerinstitutionen mit großer Sorge beobachteten: Die zunehmende Intoleranz und Aggression gegenüber anders aussehenden oder anders denkenden Menschen.

Im Gewandhausorchester und in der Sächsischen Staatskapelle Dresden wirken heute Menschen aus mehr als 20 Nationen respekt- und achtungsvoll miteinander. Ihre Arbeit lebt von Internationalität und Austausch - nur auf einer solchen Basis kann sich Kreativität überhaupt erst entfalten und künstlerische Qualität entstehen. Die beiden traditionsreichen Klangkörper dürfen ihrerseits als führende Kultureinrichtungen Sachsens mit internationaler Strahlkraft auf der ganzen Welt zu Gast sein und Gäste aus aller Welt in ihren Häusern empfangen. 

Beide Orchester haben ihren einstigen Kapellmeister bzw. Chefdirigenten Herbert Blomstedt zum Ehrendirigenten ernannt und fühlen sich ihm auf besondere Weise verbunden. Neben seinen herausragenden künstlerischen Verdiensten als Dirigent steht Herbert Blomstedt als Persönlichkeit für gesellschaftliche Werte wie Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und offenes Miteinander. Er hat die besondere Geschichte beider Orchester und des Bundeslandes vor und nach der Wende miterlebt. Beide Orchester sind dankbar für Blomstedts großes Engagement in diesem gemeinsamen Anliegen.

Beide Orchester sind der festen Überzeugung, dass nur durch das Wiedererlangen der Dialogfähigkeit und des respektvollen Umgangs miteinander eine angstfreie und lebenswerte Gesellschaft möglich ist. Die beiden Institutionen stehen uneingeschränkt für die Grundrechte und die demokratische Ordnung unserer Gesellschaft. Sie vertreten mit Nachdruck zwischenmenschliche Werte wie Achtung, Toleranz und Weltoffenheit. Gemeinsam setzten das Gewandhausorchester, die Sächsische Staatskapelle Dresden und Herbert Blomstedt im Konzert am 15. September 2018 im Gewandhaus und einem weiteren, das am 12. November 2018 in Dresden stattfand, dafür ein Zeichen.

Mit diesem Beispiel einer dialogorientierten, demokratischen und weltoffenen Gemeinschaft, wie sie ein Orchester darstellt und mit der emotionalen Kraft der Musik möchten beide Orchester dazu beitragen, humanistische Werte und Respekt gegenüber allen Menschen, unabhängig von Nationalität, Religion oder Weltanschauung, zu vermitteln.

Mindestens so beeindruckend wie das Konzert ist die Ansprache, die Herbert Blomstedt zwischen den beiden Stücken des Abends hält - sehen Sie selbst:

www.youtube.com/watch (Ludwig van Beethoven - "Egmont"-Ouvertüre op. 84)

www.youtube.com/watch (Ansprache Herbert Blomstedt)

www.youtube.com/watch (Hector Berlioz - Symphonie fantastique op. 14)

Wer in der kommenden Woche nicht in der Stadtkirche dabei sein kann und trotzdem die Kirchenmusik in der Propstei Königslutter unterstützen möchte, kann dies auch mit einer Spende tun. Wir bitten Sie heute und in den kommenden Ausgaben in dieser Woche ganz besonders um Ihre Zuwendung, damit unsere geplanten Konzertprojekte im Jahr 2026 stattfinden können. Über Ihre Spende auf folgendes Konto freuen wir uns sehr!

Freundeskreis Propsteikantorei Königslutter e. V.
Verwendungszweck: Spende Kirchenmusik 2026
Volksbank Wolfenbüttel-Salzgitter
IBAN: DE61 2709 2555 5022 9656 00

Eine Spendenquittung wird ab 50,00 Euro ausgestellt, bitte teilen Sie uns ggf. Ihre Adresse im Verwendungszweck mit.

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler
 

Beitrag von sd