Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
ein Klavierwerk von Felix Mendelssohn Bartholdy erwartet Sie in der heutigen Ausgabe: Variations sérieuses d-Moll op. 54.
Virtuosität und dankbare Gestaltungsmöglichkeiten, verbunden mit formaler Strenge und leidenschaftlichem Ausdruck vereinen sich in diesem Werk aus dem Jahr 1841. Zu Recht gilt dieses Werk als das klavieristische Meisterwerk des Komponisten, das er auf dem Höhepunkt seines Schaffens schrieb und zugleich sein Beitrag für ein Benefiz-Album zugunsten eines Beethoven-Denkmals in Bonn war. Die Variations sérieuses sind - so ließe sich etwas salopp formulieren - Mendelssohns "Diabelli-Variationen". Mit der ebenfalls krummen Zahl 17 markieren sie in etwa die Hälfte der 33 "Diabelli-Variationen". Doch der Reichtum an Modifikationen, den Mendelssohn hier ausbreitet, entspricht dem Beethovenschen Fundus zu 100 Prozent.
„Ich spiele die Variations sérieuses immer wieder, jedes Mal genieße ich die Schönheit aufs neue.“ Mit diesem emphatischen Bekenntnis zum Opus 54 seines Freundes Mendelssohn stand der Pianist und Komponist Ignaz Moscheles nicht allein. Bis heute blieb das unter anderem auch von Feruccio Busoni hoch geschätzte Werk im Repertoire aller großer Pianisten. Schon der Titel ist eine Art Programm. In einer Zeit, in der „Variations brillantes“ über modische Themen den Musikalienmarkt überschwemmten, legte Mendelssohn mit seinem Opus 54 ein Werk vor, das bereits die Brücke zu Johannes Brahms’ Variationsstil schlägt.
In den 17 Variationen verarbeitet Mendelssohn das zugrundeliegende Thema auf gestalterisch sehr vielfältige Art und Weise (Staccatotechnik, synkopierte Formen nachschlagender Begleitungen, Sprungtechniken, Verlagerung des Melodischen in andere Register, kontrapunktische Technik u. a.). Klavieristische Virtuosität erscheint hierbei stets in den Dienst formalen Ausdruckswillens und künstlerischer Noblesse gestellt.
Den dynamischen Charakter dieses Zyklus verstärkt zudem ein weiteres Kennzeichen von Mendelssohns Kompositionsweise: viele Variationen werden mit kurzen Figurationen verbunden, um den Verlauf noch drängender erscheinen zu lassen. An den Varitations sérieuses habe er - so Mendelssohn kurz vor Drucklegung 1841 an einen Freund - mit "wahrer Passion" gearbeitet. Mendelssohns Biograph Philip Radcliffe schrieb: „Das Thema hat große Schönheit und Leidenschaft; in einigen der Variationen wird das harmonische Schema beträchtlich abgeändert, aber die wichtigsten Züge des melodischen Umrisses werden für gewöhnlich aufrechterhalten. Der Klaviersatz ist sehr abwechslungsreich und erfinderisch.“
Die junge Hannoveraner Pianistin Elisabeth Brauß spielte Mendelssohns Opus 54 am 12. Oktober 2020 in der Londoner Wigmore Hall:
www.youtube.com/watch
Und zum Vergleich noch eine Orgeltranskription von Reitze Smits, die Daniel Bruun am 19. November in der Kopenhagener Kathedrale musizierte:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen von der Nordsee
Matthias Wengler