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28.12.2022 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 418

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

Musik aus England soll im Mittelpunkt der vorletzten Ausgabe in diesem Jahr stehen: Fantasia on a Theme by Thomas Tallis von Ralph Vaughan Williams, dessen 150. Geburtstag in diesem Jahr eher eine Randnotiz war.

Ralph Vaughan Williams wurde am 12. Oktober 1872 in Down Ampney in der Grafschaft Gloucestershire als Sohn eines Pfarrers geboren. Nach dem Tod des Vaters 1875 zog die Familie nach Leith Hill Place in Surrey, dem Wohnsitz der Familie seiner Mutter. Schon im Kindesalter erhielt Vaughan Williams Klavier- und Geigenunterricht; ansonsten genoss er eine für die Mittelschicht typische Erziehung in Charterhouse. Nach dem Abschluss der Schule studierte er von 1890 bis 1897 am Royal College of Music in London unter anderem bei Hubert Parry und Walter Parratt, dem späteren Master of the Queen’s Musick. Von 1892 bis 1894 besuchte er das Trinity College in Cambridge, wo er sich neben seinen verschiedenen musikalischen Studien auch den Fächern Geschichte und Philosophie widmete. In 1901 kehrte er an das Royal College zurück, um bei Charles Villiers Stanford Komposition zu studieren. Er trat der English Folk Music Society bei und lernte den zwei Jahre jüngeren Gustav Holst kennen. Die Freundschaft zu Holst gewann große Bedeutung, denn sie ermöglichte in den folgenden Jahren den freien gegenseitigen Gedankenaustausch über ihre Kompositionen.

1897, dem Jahr seiner Heirat mit Adeline Fisher, besuchte Vaughan Williams Berlin, wo er bei Max Bruch studierte und seinen musikalischen Horizont erweiterte. Zurück in England wandte er sein Interesse dem Volkslied zu. Ähnlich wie die ungarischen Komponisten Béla Bartók und Zoltan Kodály begann er, Volkslieder aus den verschiedenen Regionen seiner Heimat zu sammeln, und das Interesse an diesem Material beeinflusste nachhaltig seine musikalische Sprache. 1908 ging er nach Paris und nahm Unterricht bei Maurice Ravel, in dem er sich vor allem mit der Instrumentation befasste. 1910 wurden Vaughan Williams erste Sinfonie, „A Sea-Symphony“, auf Texte von Walt Whitman sowie die Fantasia on a Theme by Thomas Tallis uraufgeführt. Mit diesen Werken begann sich sein Ruf als Komponist schnell zu verbreiten. Das ruhige Gleichmaß seines Lebens wurde durch den Beginn des Ersten Weltkriegs unterbrochen, da er sich sofort als Gefreiter beim Army Medical Corps meldete. Drei Jahre später, nach dem Dienst in Saloniki, meldete er sich zur Royal Garrison Artillery und wurde nach Frankreich verlegt. Doch auch hier konnte er seine Fähigkeiten als Musiker einsetzen.

Nach dem Krieg kehrte Vaughan Williams als Professor für Komposition an das Royal College of Music zurück und füllte diese Position bis 1938 aus. In diesen Jahren konnte er durch eine Reihe von Kompositionen, die als typisch englisch angesehen wurden, eine führende Rolle im Musikleben des Landes übernehmen. Er galt als direkter Nachfolger Edward Elgars, auch wenn sich seine musikalische Sprache deutlich von der seines Vorgängers unterschied. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 eröffnete ihm die Möglichkeit, für den Film zu komponieren. Er komponierte bis zu seinem Tode im Jahr 1958.

Die Fantasia, die 1913 und 1919 überarbeitet wurde, greift auf ein Thema des elisabethanischen Komponisten Thomas Tallis zurück, auf das er bei seiner Tätigkeit als Herausgeber einer Neuauflage des Kirchengesangbuchs "The English Hymnal" gestoßen war. Das Stück ist für zwei getrennt aufgestellte Streichorchester und Streichquartett instrumentiert und markiert die Wendung des Komponisten zu einer eigenen unverwechselbaren Musiksprache. Nach einer kurzen einleitenden Phrase wird das Anfangsmotiv des Themas in den tiefen Streichern angestimmt, bevor es in seiner vollständigen Gestalt erscheint und dann in weiter ausgearbeiteter Form wiederholt wird. Daran schließt sich die Wiederholung der Anfangspassage an. Die Solo-Viola führt eine Melodie ein, die aus dem Originalthema abgeleitet ist und von den ersten Violinen aufgegriffen wird. Sie wird vom Streichquartett im kontrapunktischen Stil einer elisabethanischen Fantasie behandelt. Die Musik erreicht dann eine Passage für die Solo-Violine, und im Kontrapunkt setzt virtuos die Solo-Viola, sanft begleitet vom Orchester, ein. In der Coda kehrt die Solo-Violine noch einmal zurück, und mit einem Akkord in G-Dur, der langsam verklingt, endet dieses großartige Werk.

Vaughan Williams dirigierte die Uraufführung seiner Fantasia on a Theme by Thomas Tallis 1910 beim Three Choir Festival in Gloucester. Im Rahmen einer BBC-Fernsehsendung entstand 1999 am Uraufführungsort eine Aufführung dieses Werks, Sir Andrew Davis leitete 1999 das BBC Symphony Orchestra:

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich noch ein neuerer Mitschnitt, aufgezeichnet am 30. Juni 2020 im Battersea Arts Centre in London, John Wilson dirigiert das Philharmonia Orchestra:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler
 

Beitrag von sd