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05.03.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 745

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

eines der großen romantischen Klavierkonzerte steht heute auf dem Programm: Frédéric Chopins Klavierkonzert Nr. 2 f-Moll op. 21.

Chopins zweites Klavierkonzert in f-Moll ist eigentlich sein erstes. Es ist 1830 entstanden, kurze Zeit vor dem e-Moll-Konzert. Da Chopin das f-Moll-Konzert aber als zweites veröffentlichte, trägt es diese Zahl. Chopin war damals 20 Jahre alt und bereits ein überragender Pianist. Er hat die Konzerte in erster Linie für sich selbst komponiert. Das Klavier steht ganz und gar im Zentrum, das Orchester begleitet dezent und dient vor allem dazu, Farben und Spannungsbögen zu unterstreichen -  anders als etwa in den Konzerten von Mozart oder Beethoven, in denen Solist und Orchester gleichberechtigte Partner sind.

Virtuosenkonzerte hat man deshalb Chopins Klavierkonzerte genannt. Nicht ohne einen etwas abfälligen Beiklang, in dem vor allem Kritik an der Instrumentation und an der freizügigen kompositorischen Struktur der Werke mitschwingt. Dabei ist in diesen Konzerten alles drin, was man landläufig unter „romantischer Klaviermusik“ versteht: viel Poesie und eine Fülle unterschiedlicher Stimmungen, Zartes und Wildes, wunderbare Melodien, technische Finessen und ein großer Reichtum an Harmonien und Farben.

Die Zeitgenossen waren begeistert von dem Klavierkonzert - und vor allem von dem jungen, blassen Pianisten Chopin, der am Klavier ein musikalisches Feuerwerk entzündete: „Alle Vorzüge eines wahren Klaviervirtuosen vereinen sich bei Herrn Chopin in höchster Vollendung: Kraft, Geläufigkeit und vor allem Empfindung sind seine Hauptvorzüge, und der Anschlag einer jeden Taste ist bei ihm ein Ausdruck des Herzens. Das Warschauer Publikum wusste das seltene Talent seines Landsmannes zu schätzen, der ihm bald in fernen Ländern zur Ehre gereichen und sein Stolz sein wird; donnernder Beifall empfing und entließ den auftretenden Künstler, dessen frappierende Bescheidenheit noch die Wertschätzung seines Talents erhöht“, las man am 18. März 1830, einen Tag nach der Uraufführung von Chopins Konzert, in der Warschauer Zeitung.

Und tags darauf stand in der Zeitung des Warschauer und Ausländischen Korrespondenten: „Als Interpret übertraf er sogar Hummel in der Feinheit der Empfindung und in der Raffinesse des Geschmackes; in der Mechanik und Gleichmäßigkeit des Taktes war er ... unvergleichlich... Als Komponist nahm er eine herausragende Stellung unter den ersten Komponisten ein, und selbst Hummel würde ungern verleugnen, ein solches Adagio und Rondo geschrieben zu haben ... Mit vollem Recht können wir uns dazu gratulieren, dass Polen sich eines Tages eines der größten Interpreten und Komponisten Europas wird rühmen können.“

Konstanze Gladkowska, Chopins Mitschülerin am Konservatorium im Fach Gesang, wurde zur Herzensdame des jungen Komponisten - diese Gefühle behielt er jedoch lange Zeit für sich. Lediglich seinem Freund Titus Woyciechowski vertraute der junge Frédéric sich an. In einem seiner zahlreichen Briefe an Titus schrieb er: "Vielleicht bin ich zu meinem Unglück meinem Ideal begegnet, dem ich treu seit sechs Monaten diene, ohne ein Wort von meinen Gefühlen gesagt zu haben. Die hat mich zu dem Adagio meines Klavierkonzertes in f-Moll und heute Morgen zu dem kleinen Walzer inspiriert, den ich Dir schicke. Niemand wird etwas davon erfahren, außer Dir. Beachte die mit einem Kreuz bezeichnete Stelle. Wie schön wäre es, könnte ich es Dir vorspielen, mein geliebter Titus. Es ist unerträglich, wenn einen etwas drückt und man kann seine Last nicht absetzen: Du weißt, worauf ich anspiele. Ich erzähle am Klavier, was ich Dir ab und zu anvertraue."

Vom tragischen, pessimistischen und dennoch tröstlich klingenden Thema des ersten Satzes über den emotionsgeladenen, poetischen zweiten Satz bis hin zur temperamentvollen polnischen Folklore mit dem Geist der aufblühenden nationalen Musik: Chopin legt in seinem zweiten Klavierkonzert eine farbenreiche Gefühlspalette offen. Sehnsucht, Träumerei, die Kühnheit der jugendlichen Jahre, Schmerz und Hoffnung werden hier vereint. All das verwandelte Chopin meisterhaft in weit geschwungene Melodiebögen und perlende Läufe.

Meine erste Wahl für den Konzertmitschnitt fällt auf einen legendären Chopin-Interpreten. Arthur Rubinstein musizierte 1975 in der Londoner Fairfield Hall mit dem
London Symphony Orchestra unter der Leitung von Andre Previn - Rubinstein war damals bereits 88 Jahre alt!:

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich: Yuja Wang mit dem San Francisco Symphony Orchestra unter der Leitung von Sir Michael Tilson Thomas, aufgezeichnet bei einem Japan-Gastspiel am 22. November 2016 in der NHK Hall in Tokio:

www.youtube.com/watch

Meine letzte Empfehlung für heute: Jan Lisiecki mit dem Tokyo Symphony Orchestra unter der Leitung von Krzysztof Urbański, aufgezeichnet am 22. April 2023 in der MUZA Kawasaki Symphony Hall; Jan Lisiecki spielt als Zugabe das Nocturne c-Moll op. posth. von Frédéric Chopin:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd