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12.11.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 850

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

die letzte Ausgabe in dieser Woche beginnt noch einmal mit dem Hinweis auf unsere beliebte Musikfilm-Reihe „Faszination Klassik“ (10. bis 12. November in der Stadtkirche Königslutter, jeweils um 19:30 Uhr). Der Eintritt ist wie gewohnt frei, Spenden für die Kirchenmusik in der Propstei Königslutter werden am Ausgang erbeten; der Einlass erfolgt ab 19:00 Uhr. Im Mittelpunkt des letzten Abends steht der Pianist Francesco Piemontesi: 

Mittwoch, 12. November 2025, 19:30 Uhr, Stadtkirche, Königslutter

Die Alchemie des Klaviers

Film von Jan Schmidt-Garre (2024)

Der junge Pianist Francesco Piemontesi ist neugierig auf seine Künstlerkollegen - auf ihre Klaviere, die Klänge, die sie kultivieren, die verborgenen Elemente, die ihr Spiel beleben und was sie antreibt. In diesem Dokumentarfilm von Jan Schmidt-Garre spricht Piemontesi mit einigen der weltweit führenden Interpreten, u. a. seinen Mentor Alfred Brendel, Maria Joao Pires, Stephen Kovacevich und Antonio Pappano, in einer Reihe aufschlussreicher Begegnungen, die ihre individuellen Herangehensweisen an das Instrument, seinen Charakter und seine Form beleuchten. Hier der Trailer zu diesem Film:

www.youtube.com/watch

Mehr über Francesco Piemontesi können Sie im folgenden Kurzporträt erfahren:

www.youtube.com/watch

Sehr gerne empfehle ich Ihnen einige Konzertmitschnitte mit Francesco Piemontesi, hier zunächst mit Mozarts letztem Klavierkonzert Nr. 27 B-Dur KV 595 mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Herbert Blomstedt. Das Konzert fand am 11. Dezember 2020 ohne Publikum in der Hamburger Elbphilharmonie statt:

www.youtube.com/watch
 
 Zwei Zugaben stelle ich Ihnen noch mit Francesco Piemontesi vor, die bereits zum Hauptwerk dieser Ausgabe von "Musik in schwierigen Zeiten" überleiten - den Impromptus von Franz Schubert. Hier zunächst das Impromptu Ges-Dur aus den Vier Impromptus D 899, aufgezeichnet im Juni 2023 in der Kölner Philharmonie: 

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Und hier noch das Impromptu As-Dur aus den Vier Impromptus D 935, der Mitschnitt entstand am 11. Oktober 2024 in der Alten Oper Frankfurt:

www.youtube.com/watch

Nun zum heutigen Musikstück in "Musik in schwierigen Zeiten": Die beiden Impromptus-Zyklen D 899 und D 935 von Franz Schubert.

1827 darf als Schuberts Kreativjahr bezeichnet werden. Die "Winterreise" entsteht, die beiden Klaviertrios in B-Dur und Es-Dur, die C-Dur-Fantasie für Violine und Klavier - und: die beiden Impromptu-Serien für Klavier, knapp ein Jahr vor seinem Tod. "Sofort", "überraschend", "aus dem Augenblick heraus" - das sind einige der Übersetzungsvorschläge, die ein Wörterbuch für das Wort "Impromptu" bereithält. Von Franz Schubert stammen die berühmtesten Werke mit dieser Bezeichnung, und einen improvisatorischen Gestus haben sie allemal. 

Zunächst zu den Vier Impromptus D 899: "Heitere Musik? Ich kenne keine heitere Musik!" hat Franz Schubert einmal geschrieben. Kaum ein anderer Komponist spricht so unmittelbar existenzielle Gefühle an, kaum eine andere Musik geht tiefer unter die Haut. Für viele Musikliebhaber ist Schuberts Musik ein Rätsel. So eng verschlungen sind hier Tod und Leben, liebliche und düstere Stimmungen, Idylle und Entsetzen.

Die Vier Impromptus D 899 schrieb Schubert im Sommer 1827, ein Jahr vor seinem Tod. In ihrer Abfolge erinnern die Stücke durchaus an eine Sonate: Zu Beginn ein balladenhaftes Allegro, dann ein tänzerisches Scherzo, das Chopins "Minutenwalzer" vorwegzunehmen scheint. Als dritter Satz folgt ein Andante, das wie Schubert'sches Lied klingt - ein Lied ohne Worte. Und als Finale ein bewegliches Allegretto, dessen Sechzehntel-Kaskaden an einen Wasserfall erinnern, bei dem die Tropfen in der Sonne funkeln. 

Wenn András Schiff seinen Studenten in einem Meisterkurs Schuberts Impromptus erklärt, dann spricht er von nahen und fernen Klängen, von wechselnden Perspektiven, von Wolken und Landschaften. Wer diese Musik technisch bewältigt hat, was auch schon keine kleine Sache ist, kann sie deshalb noch lange nicht spielen. Entscheidend ist die poetische Ebene, die Bilder und Assoziationen im Kopf des Hörers auslöst, so András Schiff: "Die Poesie, die Literatur, die Geschichte, die Philosophie, die Bildenden Künste – wer nicht neugierig ist auf diese Erkenntnisse, der kommt nicht weiter. Und das hat mit Üben nichts zu tun."

Schuberts Musik, davon ist der Pianist András Schiff überzeugt, hat ihr Kraftzentrum in seinen Liedern. Auch seine Sinfonien, seine Quartette und seine Klaviermusik seien eigentlich Lieder ohne Worte: "Ob er nun Symphonien schreibt oder Klavierstücke - das Liedelement ist immer vorhanden." Für einen Sänger sei es selbstverständlich, sich auch mit dem Text auseinanderzusetzen. Deutsch-Kenntnisse könnten bei Schubert, um es vorsichtig zu sagen, zumindest nicht schaden, meint András Schiff. Und das gelte auch für die Klaviermusik: "Schubert denkt auf Deutsch und schreibt auf Deutsch". Wenn die Töne etwas erzählen, ja buchstäblich sprechen sollen, dann kann es hilfreich sein, sich einen Text auszudenken und den Noten zu unterlegen - diesen Rat gibt Schiff seinen Studenten. Und darum braucht man nicht nur flinke Finger, um Schuberts Impromptus zu spielen, sondern vor allem viel Fantasie - Klangfantasie, damit das Klavier, dieser mechanische Großapparat, Dinge tut, die es eigentlich gar nicht kann: Singen und Sprechen zum Beispiel. Wenn man die Impromptus richtig spielt, dann klingt der Flügel mal wie ein Bariton, mal wie eine Posaune.

Hier zunächst die Vier Impromptus D 899 (Nr. 1 c-Moll, Nr. 2 Es-Dur, Nr. 3 Ges-Dur und Nr. 4 As-Dur) mit Alfred Brendel, aufgezeichnet 1976 im Studio von Radio Bremen:

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Zum Vergleich: Krystian Zimerman, aufgezeichnet im Februar 1987 in den Wiener Rosenhügel-Filmstudios:

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Zu den Vier Impromptus D 935: In seinem kurzen Leben ist Schubert unzählige Male innerhalb Wiens umgezogen: Weg aus dem Elternhaus zu seinem Freund Schober, in eine eigene Wohnung, wieder zurück zum Vater, zu seinen Freunden Huber und Schwind. Als er die vier Impromptus schrieb, lebte er wieder bei Schober, im Haus "Zum blauen Igel“ in der Inneren Stadt. Vielleicht spiegelt sich diese Rastlosigkeit auch in Schuberts Musik.

Wie eine Suche nach Frieden und Einsamkeit klingt das erste Impromptu. Es ist so fein und zerbrechlich wie das Glück. Und so wechselvoll wie das Leben. Mit der strengen Funktionsharmonik der Wiener Klassik ließ sich diese Gefühlswelt nicht mehr fassen. Schubert springt von f-Moll nach As-Dur über as-Moll hin zu F-Dur: ständige harmonische Wechsel, ein unendlicher melodischer Strom. "Impromptu“ - das ist eine Art Lyrik fürs Klavier. Musik, die ganz aus dem Affekt heraus komponiert ist, aus einem Moment der Inspiration. Ohne viel Planung und satztechnische Anlage. Was zählt, sind Farben, Stimmungen, melodische Einfälle.

Schubert soll die Bezeichnung "Impromptus" eigenhändig auf das Manuskriptheft geschrieben haben. Aber hat er die vier Stücke wirklich als Einzelwerke konzipiert? Der Erste, der daran öffentlich Zweifel anmeldete, war Robert Schumann. Er schrieb 1838 in der "Neuen Zeitschrift für Musik": "Doch glaube ich kaum, dass Schubert diese Sätze wirklich Impromptus überschrieben hat; der erste ist so offenbar der erste Satz einer Sonate, so vollkommen ausgeführt und abgeschlossen, dass gar kein Zweifel aufkommen kann. Das zweite Impromptu halte ich für den zweiten Satz derselben Sonate; in Tonart und Charakter schließt es sich dem ersten knapp an." 

Aber egal, ob Sonate oder Impromptus: Das Wichtigste ist die musikalische Einheit. Der Pianist muss die extrem unterschiedlichen Charaktere der vier Stücke in einen Bogen spannen. Das dritte Impromptu etwa beginnt ruhig und kantabel mit dem berühmten "Rosamunde“-Thema und verwandelt sich in der dritten Variation in eine schwere, düstere Moll-Stimmung. In das letzte Impromptu, sagt der Pianist William Youn, habe Schubert schließlich Himmel und Hölle gepackt.

Hier die Vier Impromptus D 935 (Nr. 1 f-Moll, Nr. 2 As-Dur, Br. 3 B-Dur und Nr. 4 f-Moll) mit Alfred Brendel, aufgezeichnet 1976 im Studio von Radio Bremen:

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Zum Vergleich: András Schiff, der Mitschnitt entstand am 25. August 2020 im Rahmen der Salzburger Festspiele im Haus für Mozart in Salzburg:

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Wer in der kommenden Woche nicht in der Stadtkirche dabei sein kann und trotzdem die Kirchenmusik in der Propstei Königslutter unterstützen möchte, kann dies auch mit einer Spende tun. Wir bitten Sie heute noch einmal ganz besonders um Ihre Zuwendung, damit unsere geplanten Konzertprojekte im Jahr 2026 stattfinden können. Über Ihre Spende auf folgendes Konto freuen wir uns sehr!

Freundeskreis Propsteikantorei Königslutter e. V.
Verwendungszweck: Spende Kirchenmusik 2026
Volksbank Wolfenbüttel-Salzgitter
IBAN: DE61 2709 2555 5022 9656 00

Eine Spendenquittung wird ab 50,00 Euro ausgestellt, bitte teilen Sie uns ggf. Ihre Adresse im Verwendungszweck mit.

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd