Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
57 Jahre alt musste Johannes Brahms werden, um erstmals explizit für die Klarinette zu komponieren. Doch dann schrieb er in wenigen Jahren gleich vier Werke: Ein Klarinettenquintett, zwei Klarinettensonaten, und - als erstes dieser Serie - das Trio für Klavier, Klarinette und Violoncello a-Moll op. 114, das ich Ihnen heute gerne vorstelle.
1891 hatte Brahms eigentlich mit dem Komponieren schon abgeschlossen. Sein Streichquintett op. 111 von 1890 sei sein letztes Werk, hatte er angekündigt. Doch dann hörte er in Meiningen den Klarinettisten Richard Mühlfeld. Sein Spiel, sein weicher gesanglicher Ton müssen Brahms unglaublich beeindruckt haben: Noch im selben Sommer schrieb er für Mühlfeld das Trio für Klavier, Klarinette und Violoncello a-Moll.
Das Klarinettentrio gilt neben dem Klarinettenquintett als Prototyp des Brahmsschen Spätwerkes; die Musik erscheint wie in ein mildes Licht getaucht, es herrschen eine Abgeklärtheit und Stille, die wie ein sanftes Adieu an die Welt wirken. Der erste Satz beginnt mit einer schlichten Melodie des Cellos - beinahe ein Klangsymbol für Einsamkeit -, auf die die Klarinette mit sehnsüchtigen Arabesken antwortet. Ein Gegenthema des Klaviers setzt kräftigere Akzente, die sich aber im Laufe des Satzes nicht behaupten können. Immer wieder sinken energische Passagen in die Mattigkeit des Anfangs zurück. Alle Themen scheinen um sich selbst zu kreisen. So ist das zweite Thema ein Kanon in der Umkehrung zwischen Klarinette und Cello. Leise Sechzehntelläufe geben der Durchführung eine eigenartig fahle Farbe. Sie beschließen auch den Satz.
Im Adagio wird der Ausdruck noch weiter zurückgenommen auf einen Gesang von zarter Verhaltenheit. Sein Hauptmotiv in der Klarinette wird wieder kanonisch durch sich selbst begleitet und allmählich zerlegt, bis nur noch Seufzerfiguren übrig bleiben. In einem zweiten Thema steigern sich Bewegung und Ausdruck zu einer wehmütigen “fin de siècle”-Stimmung. Im Andantino grazioso hat Brahms seiner Wahlheimat Österreich ein Denkmal gesetzt - durch eine Walzermelodie, wie sie auch in der "Fledermaus" von Johann Strauß stehen könnte. Auch hier wird das Thema in Fragmente zerlegt, bis die Klarinette mit dem Trio einsetzt, einem Ländler aus dem Alpenland. Im Finale stehen sich, wie häufig bei Brahms, kontrastierende Rhythmen gegenüber: Triolen und Duolen, 6/8- und 9/8-Takt.
Die ungarisch angehauchte Melodie im vierten Satz ist aus dem Thema des ersten Satzes entwickelt, jener schlichten Dreiklangsmelodik, mit der das Cello beginnt - und aus diesem Thema lassen sich auch viele andere Motive ableiten. "Entwickelnde Variation" nennen Analytiker diese Brahms-Technik - aus einem Thema und seiner Begleitung, Schritt für Schritt das ganze Gewebe eines Stückes zu entwickeln. Noch Arnold Schönberg hat später daraus für seine Zwölftontechnik gelernt.
Drei Konzertmitschnitte empfehle ich Ihnen heute sehr gerne, zunächst Yevgeny Yehudin, Haran Meltzer und Lahav Shani, aufgezeichnet im November 2020 in Tel Aviv:
Im Rahmen des Solsberg Music Festivals entstand am 30. September 2015 der folgende Mitschnitt mit Andreas Ottensamer, Sol Gabetta und Dejan Lazić:
www.youtube.com/watch vW qm Wf U
Und zuletzt noch eine Aufzeichnung aus Norwegen vom International Chamber Music Festival 2010 in Stavanger mit Martin Fröst, Clemens Hagen und Leif Ove Andsnes:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler