Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
Werke für Streichorchester gab es in dieser Reihe schon häufiger - heute verdoppeln wir das einfach mit dem Concerto for Double String Orchestra von Sir Michael Tippett.
Das Konzert für zwei Streichorchester, Tippetts erstes Meisterwerk und 1938/39 komponiert, war für seinen Ruf von besonderer Bedeutung. Es wurde erstmals 1940 vom South London Orchestra unter Leitung des Komponisten aufgeführt. Es ist tief in der englischen Tradition verwurzelt und beruft sich auf die elisabethanischen Madrigalisten, die Instrumentalfantasien von Gibbons und Purcell, die Concerti grossi Händels sowie die Reihe britischer Werke des 20. Jahrhunderts für Streicher, die mit Elgars Introduction and Allegro begann.
Im Mittelpunkt des Werks stehen zwei Dinge - Tanz und Gesang. Der Tanz herrscht im ersten Satz vor, in dem geschmeidige, springende Rhythmen die berauschende Vitalität der Musik erzeugen. Sein scheinbar nahtloser kontrapunktischer Charakter weist auf Verwandtschaft mit der Fantasieform des 17. Jahrhunderts hin. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass auch die Sonatenform nach dem Vorbild von Beethoven (ein weiterer wichtiger Einfluss auf Tippett) vorhanden ist. Die Hauptthemen werden von beiden Orchestern gleichzeitig in den Anfangstakten verkündet und sofort umgekehrt, womit unterstrichen wird, dass sie gleich bedeutend sind.
Im langsamen Satz dominiert Gesang, versinnbildlicht durch eine hinreißende Melodie, die von einer Solovioline eingeführt wird. Ihr Umriss paraphrasiert das Volkslied “Ca’ the yowes”; die schmerzenden Halbtondissonanzen, die ihm zugrunde liegen, sind typisch englisch und gehen bis zu Purcell und noch weiter zurück. Ein weiteres Beispiel für Beethovens Einfluss auf Tippett wird im folgenden Fugato deutlich, das nach dem langsamen Satz des Streichquartetts f-Moll op. 95 gestaltet wurde.
Das Finale verbindet beide Elemente, es beginnt mit rhythmischem Geplänkel zwischen den beiden Orchestern, welches zu einem lebhaften fortissimo-Höhepunkt führt. Gesang schließt sich mit einer betörenden Melodie an, welche von den Celli der beiden Orchester eingeführt wird; sie stürzt hinab und schwingt sich empor, bis sie fast mystisch frohlockt. Eine weitere Episode beleuchtet ein spielerisches Thema, das von den Violinen des zweiten Orchesters eingeführt wird. Als wäre dieser lyrische Erguss nicht genug, krönt Tippett den Satz mit einer Koda, in der sich eine weitere Melodie majestätisch entfaltet und das Konzert zu einem strahlenden Abschluss bringt.
Für dieses Werk habe ich einen Mitschnitt von den BBC Proms ausgewählt. Am 20. August 2013 führte das London Symphony Orchestra unter der Leitung von Daniel Harding Michael Tippetts Doppelkonzert in der Londoner Royal Albert Hall auf:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Urlaubsgrüßen von der Nordsee
Matthias Wengler