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02.02.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 584

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

unser heutiges Werk ist eine der wichtigsten amerikanischen Sinfonien des letzten Jahrhunderts: Die Sinfonie Nr. 3 von Aaron Copland. Dieses Werk hat quasi eine musikalische Keimzelle: Die Fanfare for the Common Man, die Sie im folgenden Link als Einführung zur heutigen Ausgabe sehen können; Leonard Bernstein dirigiert das New York Philharmonic, der Mitschnitt entstand 1985 in der New Yorker Avery Fisher Hall:

www.youtube.com/watch

Aaron Copland ist ein Mann des 20. Jahrhunderts. Schon seine Lebensdaten lesen sich geradezu programmatisch: Geboren 1900, gestorben 1990. Das Schaffen des New Yorker Sohnes litauischer Juden erscheint denn auch wie eine „One Man Show“ der Musik des 20. Jahrhunderts: Jazz, Folklore, Neoklassizismus und Zwölftonmusik mischen sich in Coplands Musik auf manchmal seltsame, meistens schwungvolle und immer originelle Weise.

Nun aber zu Coplands dritter Sinfonie: Sie wurde nach der Uraufführung 1946 gefeiert als „landmark in American music“ und erhielt eine ganze Reihe von Preisen. Sie ist mit einem großen Orchester besetzt und enthält kein Programm, denn die Musik sollte für sich sprechen. Aber es gibt Zitate aus früheren Werken. Coplands dritte Sinfonie war ein Auftragswerk der Koussevitzky Foundation und wurde am 18. Oktober 1946 von Sergei Koussevitzky mit dem Boston Symphony Orchestra in der Boston Symphony Hall uraufgeführt. Die europäische Premiere leitete Leonard Bernstein 1947 in Prag. Gefeiert wurde das Werk denn auch als „die amerikanische Sinfonie“, auf die man so lange gewartet hatte. In der Tat braucht sich Coplands Dritte vor den Sinfonien, die Vaughan Williams, Schostakowitsch und Prokofjew in jener Zeit geschrieben haben, nicht zu verstecken.

Der expressive erste Satz, ein ausgedehntes Orchesterpräludium, ist in der für Copland so typischen Bogenform angelegt, die, nach zwei mächtigen Steigerungswellen, mit einer triumphal überhöhten Variante des fanfarenartigen Eröffnungsgedankens ausklingt. Im zweiten Satz, einem Scherzo mit lyrischem Trio, leitet eine Bläsereinleitung zum eigentlichen Hauptthema, während die Triomelodie - ebenfalls dramatisch gesteigert - in der Coda wieder aufgegriffen wird. Der rhapsodische langsame dritte Satz, dessen Episoden aus einem schlichten Flötenthema entwickelt werden, geht dann ohne Pause ins Finale über. Dieses ist ein energiegeladenes Allegro risoluto, dessen Introduktion auf Coplands „Fanfare for the Common Man“ basiert - einer heroischen Komposition für Blechbläserensemble, die 1942 im Auftrag von Eugene Goosens, dem Dirigenten des Cincinnati Symphony Orchestra, als eines von zehn patriotischen Stücken amerikanischer Komponisten entstanden ist. Nach der Exposition des ersten Themas in bewegter Sechzehntel-Bewegung und des liedhaften zweiten Themenkomplexes, folgt eine umfangreiche Verarbeitung der musikalischen Kerngedanken. An die Stelle der Reprise rückt erneut eine ausgedehnte Coda, in der die verschiedenen Themen zusammengefasst werden. Ihren fulminanten Abschluss findet die Sinfonie schließlich mit der Wiederaufnahme der Fanfare, die den Kopfsatz eingeleitet hatte.

Sowohl Sergei Koussevitzky als auch Leonard Bernstein waren begeistert von dem Werk; dennoch empfahlen sie einige Kürzungen, auf die sich der Komponist dann schweren Herzens einließ. Copland griff bei der Komposition zwar auf früheres thematisches Material zurück, legte aber Wert darauf, dass er - zumindest bewusst - keine Elemente aus der traditionellen oder der populären Musik verwendet hat. Er sah sich zu Unrecht als „Folklorist“ und „Hoflieferant der Amerikaner“ katalogisiert. Allerdings ist das Werk schon stark vom Optimismus und Patriotismus der unmittelbaren Nachkriegszeit geprägt. Aaron Copland versuchte, mit dieser Sinfonie ein „einfaches“ Stück für jedermann zu schreiben. Das alles andere als schlichte Werk wurde zur Ikone amerikanischer Sinfonik - nur in Europa ist es kaum bekannt.

Zwei Mitschnitte empfehle ich Ihnen heute sehr gerne, zunächst das NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Alan Gilbert, aufgezeichnet am 12. Februar 2022 in der Hamburger Elbphilharmonie:

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich noch ein Mitschnitt aus dem Jahr 1976 mit dem New York Philharmonic unter der Leitung von Leonard Bernstein:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd