Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
für das "bayerische Pompeji", also das zerbombte München, schrieb Richard Strauss sein interessantestes Spätwerk, die Metamorphosen für 23 Solostreicher.
„Ich bin in verzweifelter Stimmung! Das Goethehaus, der Welt größtes Heiligtum, zerstört! Mein schönes Dresden - Weimar - München, alles dahin!“ Diese Worte schrieb Richard Strauss angesichts des Infernos von 1945. Die Welt des Richard Strauss war in Schutt und Asche gefallen, seine Wirkungsstätten waren Ruinen, München, die Opernhäuser in Dresden, Berlin und Wien. Der Komponist hatte sich seine Villa in Garmisch zurückgezogen. Seitdem er nicht mehr dirigierte, schrieb er Noten zum Zeitvertreib, ein Hornkonzert, Kammermusik, Bearbeitungen, "Handgelenksübungen", wie er es nannte. 1945 holt er eine Skizze aus dem Herbst 1944 hervor, auf die er „Trauer um München” notiert hatte, und beginnt zu komponieren. Nach nur vier Wochen schließt der 81-jährige Komponist die Arbeit an diesem Werk ab, das er schließlich „Metamorphosen” nennt und bescheiden als „Studie für 23 Solostreicher” deklariert.
Von der Idee der Metamorphose ausgehend, stellt sich das Werk als unentwegte Variationskette dar: Drei Themengruppen sind einer fortlaufenden Verwandlung unterworfen und durch die sich verändernde Bewegung miteinander verknüpft. Ursprünglich als Septett geplant, wandte Strauss sich im Verlaufe der Arbeit dann aber einer größeren Besetzung zu, um die Klangfarben zu intensivieren und zu erweitern. Ein interessanter Akzent ist ein Zitat aus dem langsamen Satz der „Eroica“ Beethovens, einem ergreifenden Trauermarsch, das ganz am Ende in den Kontrabässen erklingt. Obwohl Strauss es angeblich unbewusst in sein Werk verwoben hat, scheint doch die Absicht hier Vater des Gedankens gewesen zu sein: Die Metamorphosen sind nichts anderes als eine Trauermusik für die untergegangenen deutschen Städte und speziell deren Kulturtempel.
Dass der ehemalige Präsident der Reichsmusikkammer in den apokalyptischen letzten Wochen des Weltkriegs, in denen Abertausende ihr Leben ließen, seiner Trauerarbeit einen solchen Fokus setzt, mag einen zwiespältigen Beigeschmack haben. Der magischen, ungemein berührenden Kraft der Musik tut dies keinen Abbruch. Im hohen Alter hatte der Komponist mit diesem Werk, für das es in der Literatur keinen Vorgänger gibt, noch einmal einen neuen Weg eingeschlagen. Zugleich sah er es als eine Art Resümee seines Daseins, oder, wie er sich ausdrückte, einen „Widerschein meines ganzen vergangenen Lebens“. Mit den Metamorphosen ist ein ergreifendes Alterswerk entstanden - anders als alles, was Richard Strauss zuvor komponiert hatte.
Der heutige Konzertmitschnitt entstand 2012 in Amsterdam, es spielt das Concertgebouworkest unter der Leitung von Mariss Jansons:
Und zum Vergleich noch ein Mitschnitt ohne Dirigenten - eine beeindruckende Leistung von Mitgliedern des European Union Youth Orchestra, aufgezeichnet 2020 im Amsterdamer Concertgebouw:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler