Suche

Musik in schwierigen Zeiten Ansicht

04.10.2022 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 384

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

1961 sorgte die Entdeckung eines Manuskripts für eine Sensation in der Musikwelt. Das im Prager Nationalmuseum aufbewahrte Archiv des Schlosses Radenín enthielt die Stimmenabschrift unseres heutigen Musikstücks: Joseph Haydns Cellokonzert C-Dur.

Von der Existenz des Stückes wusste man bis dahin nur durch den Eintrag in Haydns eigenem Werkverzeichnis, die Noten indes waren verschollen. Die Prager Erstaufführung, eine erste Schallplatteneinspielung sowie eine gedruckte Ausgabe der Noten machten 1962 die Öffentlichkeit mit dem Stück bekannt - der Erfolg war durchschlagend.

Obwohl das Konzert zwischen 1761 und 1765, also in Haydns ersten Jahren als Kapellmeister des Fürsten Eszterházy, entstanden ist, präsentiert sich das Stück als vollgültiges Meisterwerk. Da gibt es kein Herantasten und Herumexperimentieren, souverän beherrscht Haydn alle formalen und strukturellen Probleme, mit denen sich ein Komponist in der Epoche des frühklassischen Aufbruchs konfrontiert sah. Mit rasant virtuosen Passagen stellt es überdies hohe Anforderungen an den Solisten, noch dazu bewegt sich die Melodie oft genug in der technisch anspruchsvollen hohen Lage. So zeugt die Komposition auch von dem hervorragenden Niveau der fürstlichen Hofkapelle. Haydn hatte dem Cellisten Joseph Weigl, der zwischen 1761 und 1769 Mitglied seines Orchesters war, bereits etliche Solostellen in seinen frühen Sinfonien anvertraut. Mit seinem C-Dur-Konzert machte er diesen außerordentlich befähigten Virtuosen unsterblich.

Wie viel das Genie Haydn für das Cello komponiert hat, ist heute ungewiss. Ganze neun Cellokonzerte wurden ihm einmal zugeschrieben. Doch nur von zweien davon weiß man heute mit Sicherheit, dass sie tatsächlich von Haydn stammen: das bereits erwähnte C-Dur-Konzert, ein weiteres in D-Dur. Welche Konzerte versprühen schon einen solchen Charme und eine solche Präsenz? Und wo wird einem Cellisten so viel zugemutet an Präzision und Fingerfertigkeit?

Der flotte dritte Satz des C-Dur-Konzertes gehört zum schwersten, was die Celloliteratur zu bieten hat. Zudem spornt er geradezu an, immer noch schneller und schneller zu spielen. Von barocker Feierlichkeit ist in diesem letzten Satz des Konzertes nichts mehr zu spüren. Die Kunst des Solisten ist nicht mehr in einen festen Rahmen eingebettet. Er ist vielmehr die treibende Kraft in diesem musikalischen Wettspiel. Cellist und Orchester stacheln sich darin gegenseitig an. Eine Virtuosenpartie wie sie damals, in der aufblühenden Wiener Klassik, immer beliebter wurde. Somit spricht aus diesem Konzert beides: mit dem ersten Satz der noch etwas steife, höfische Rahmen des Spätbarock und - zum Schluss: moderneres, leidenschaftliches Virtuosentum.

Bis heute ist es ein besonderes Verdienst des Dirigenten Christoph Eschenbach, immer wieder Nachwuchsmusiker zu fördern und ihnen wichtige solistische Auftritte zu verschaffen - so auch im Falle von Bruno Philippe, der hier gemeinsam mit dem hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Christoph Eschenbach in einem Mitschnitt vom 29. September 2017 aus der Frankfurter Alten Oper zu sehen ist:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd