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19.04.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 617

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

unser heutiges Musikstück könnte aufgrund seines Beinamens besonders kurz oder melodisch arm ausgefallen sein. Das Gegenteil ist der Fall: Rund 45 Minuten Länge und Melodienreichtum satt erwartet Sie heute mit Felix Mendelssohn Bartholdys Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 56, die auch als "Schottische" bekannt ist.

Wo machten echte Romantiker:innen im 19. Jahrhundert Urlaub? Natürlich im schottischen Hochland! James Macphersons Ossian-Sagen und die Werke des schottischen Dichters Walter Scott inspirierten sie dazu. Auch den 20-jährigen Felix Mendelssohn Bartholdy zog es dorthin, nachdem er in London als Dirigent und Pianist 1829 eine überaus erfolgreiche Konzertsaison hingelegt hatte. Mit seinem Freund Karl Klingemann zog er im Sommer los, um die sagenumwobenen Highlands zu erkunden. Station machten sie auch in Schottlands Hauptstadt Edinburgh und im Schloss Holyrood. Ein Ort mit einer düsteren Vergangenheit: Königin Maria Stuart hatte hier einst residiert. Und hier hatten ihre Gegner 1566 den Privatsekretär David Rizzio bestialisch ermordet - vor ihren Augen. Er habe an diesem Tag, an diesem Ort, den Anfang seiner "Schottischen Sinfonie" gefunden, so schreibt Mendelssohn an seine Familie nach Berlin.

Doch erst über 12 Jahre später setzt er das Projekt um; seine Sinfonie vollendet er im Januar 1842. Robert Schumann lobte in seiner Besprechung die formale Dichte des Werks; es bilde "ein engverschlungenes Ganzes". Im Gestus erhaben und episch, wie es sich für eine romantische Sinfonie gehört, ist sie innovativ vor allem wegen ihres ausgeprägt lyrischen Stils: Mendelssohn arbeitet mit poetischen Liederthemen, "Liedern ohne Worte"; Liedstrukturen prägen die ganze Sinfonie. Zwar kommt die "Schottische" ohne ein spezifisches Programm aus, sie ist aber durchwirkt von schottischem Kolorit. Hörbar wird das etwa in den Dudelsackanklängen des zweiten Satzes oder im balladenhaften Tonfall des Sinfoniebeginns: "Es war einmal in fernen Zeiten" scheint die Musik hier artikulieren zu wollen. Assoziationen an eine düstere, schottische Landschaft mit verfallenen Gemäuern und versunkenen Geschichten stellen sich beim Hören wie von selbst ein - auch in der schaurigen Sturmmusik am Ende des Kopfsatzes.

Mendelssohns "Schottische" wird vielfach als sein bedeutendstes sinfonisches Werk angesehen und errang bereits bei der Uraufführung unter der Leitung des Komponisten am 3. März 1842 im Leipziger Gewandhaus einen großen Erfolg - obwohl das Publikum irritiert war, dass Mendelssohn auf die seiner Ansicht nach "stimmungsmordenden Pausen" zwischen den Sätzen verzichtete, die Teile des Werks nahtlos ineinander übergingen und damit der damals noch übliche Applaus zwischen den Sätzen unterbunden wurde. Obwohl die "Schottische" innerhalb seines sinfonischen Schaffens als dritte Sinfonie gilt, ist die Nummerierung irreführend, denn zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits seine "Italienische" (Nr. 4) und die "Reformations"-Sinfonie (Nr. 5) komponiert. Die "Schottische" hat Mendelssohn Queen Victoria gewidmet.   

Unser heutiger Konzertmitschnitt entstand am 25. August 2009 im Rahmen der BBC Proms in der Londoner Royal Albert Hall. Sir Roger Norrington dirigiert das Orchestra of the Age of Enlightenment:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd