Suche

Musik in schwierigen Zeiten Ansicht

01.08.2022 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 359

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

der Komponist Aram Khachaturian ist vor allem durch den Säbeltanz aus seinem Ballett "Gayaneh" bekannt - obwohl es Musik des 20. Jahrhunderts ist, wurde der Säbeltanz schnell zu einem der populärsten Stücke der Klassik. Als Einstieg für die heutige Ausgabe hier im Silvesterkonzert 2013 der Berliner Philharmoniker mit Sir Simon Rattle zu erleben:

www.youtube.com/watch

Nicht zuletzt durch den Billy-Wilder-Film "Eins, zwei, drei" erhielt dieses Stück zusätzliche Popularität - und Liselotte Pulver hat man wohl noch nie so gesehen wie in diesem Film:

www.youtube.com/watch

Hauptstück dieser Ausgabe ist jedoch das Klavierkonzert Des-Dur op. 38 von Aram Khachaturian:

Dass der 33-jährige Komponist an einem Klavierkonzert arbeite, vernahm die Moskauer Musikwelt Mitte der dreißiger Jahre mit gewissem Staunen. Schließlich war der hoch begabte Armenier, der sich erst mit knapp 20 Jahren endgültig für die Musikerlaufbahn entschieden hatte, kein ausgebildeter Konzertpianist. Und abgesehen von der monumentalen ersten Sinfonie, mit der er 1934 im Großen Saal des Moskauer Konservatoriums einen Debütantentriumph - und das Abschlussdiplom mit Auszeichnung - errungen hatte, lagen noch kaum größere Werke vor.

Sergej Prokofjew, zu diesem Zeitpunkt schon Autor von fünf Klavierkonzerten, bekam wiederholt Skizzen des Werkes zu sehen. "Ein Klavierkonzert zu schreiben ist sehr schwer", warnte er den Schüler seines Freundes Nikolai Mjaskowski. "Es muss dazu irgendein Einfall vorhanden sein. Ich rate Ihnen deswegen, alles, was Ihnen einfällt, zu notieren, ohne darauf zu warten, bis das Ganze ausreift." Erst später, so Prokofjew, solle er den Gesamtorganismus aus den interessantesten Bausteinen schrittweise zusammensetzen. Ein weiterer Kritikpunkt betraf den eher schlichten Solopart. Khachaturian machte sich also daran, die Stimme mit wirkungsvollem Passagenwerk und vollgriffigen Akkorden anzureichern, so dass sie sich dem heroischen Duktus der Traditionslinie Liszt, Tschaikowsky, Rachmaninow näherte (wobei auch der Toccaten-Stil Prokofjews seine Spuren hinterließ).

Wie gründlich die Erweiterung der virtuosen Passagen gelang, bezeugt u. a. Arthur Rubinstein. In seinen Lebenserinnerungen spricht er respektvoll von den "bedeutenden technischen Anforderungen" des Konzerts, das er einige Male mit Vergnügen gespielt habe, ehe sein Befremden ob der dem Stück "innewohnenden Banalität" die Oberhand gewann. Tatsächlich lebt es ganz vom grandiosen Effekt, von der fast reißerischen Wirkung des Plakativen. Prokofjews Rat, vor allem auf tragfähige Materialsubstanz zu achten, fiel ganz offenbar auf fruchtbaren Boden: Das Hauptthema mit seiner archaisch-unbändigen Energie bebt förmlich vor Testosteron und weckt höchste Erwartungen, das orientalisch timbrierte Seitenthema setzt einen verträumten Kontrast dagegen, der die althergebrachte Polarität des Sonatensatzes mit neuem Leben erfüllt. Unterschwellige Korrespondenzen der Motive über die Satzgrenzen hinweg, bis hin zur apotheotischen Wiederkehr des Kopfsatzthemas gegen Ende des Finales, sorgen für Geschlossenheit.

Die Moskauer Uraufführung mit Lev Oborin als Solisten bedeutete für den Komponisten den endgültigen Durchbruch; innerhalb kurzer Zeit machte das Konzert auch in England und den USA Furore. Dass es sich - bombastisch in seinem Optimismus, national im Tonfall, formal gänzlich traditionell - exakt der seit 1932 gültigen Doktrin des sozialistischen Realismus anschmiegte, entsprach den Absichten eines Künstlers, der bald wichtige Posten im sowjetischen Komponistenverband übernehmen sollte.

Unser heutiger Mitschnitt kommt aus Frankreich, Jean-Yves Thibaudet musizierte Khachaturians Klavierkonzert am 15. Juni 2011 in der Pariser Salle Pleyel mit dem Orchestre de Paris unter der Leitung von Kazuki Yamada:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd