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12.11.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 852

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

unser heutiges Musikstück kommt aus Frankreich - und unseren heutigen Solisten durfte ich mit diesem Stück vor wenigen Wochen wieder einmal in der Elbphilharmonie erleben: Das Violinkonzert Nr. 3 h-Moll op. 61 von Camille Saint-Saëns. 

Im Jahr 1879 bekam die europäische Geigerzunft ein ganz besonderes Schmuckstück für ihren Literaturkoffer geschenkt: das Violinkonzert von Johannes Brahms. Das erste derartige Werk eines der renommiertesten deutschen Komponisten weckte sofort die Neugier etlicher internationaler Violinisten. Alle waren aus dem Häuschen. Alle wollten das neue Konzert einstudieren. Alle - bis auf Pablo de Sarasate. Er lehne es ab, dieses Stück zu spielen, so der berühmte spanische Virtuose. Schließlich müsse er in dessen zweiten Satz „mit der Geige in der Hand zuhören, wie die Oboe dem Publikum die einzige Melodie des ganzen Stückes vorspielt.“ 

Lust und Ambition, ein neues Violinkonzert in sein Repertoire aufzunehmen, hatte der Stargeiger damals nichtsdestotrotz. Und zum Glück wusste er einen alten Bekannten, der Brahms’ Versäumnis wieder gutmachen konnte: Sarasate ging zu Camille Saint-Saëns und bat ihn seinerseits um ein neues Violinkonzert. Er bekam eines. Und er bekam einen zweiten Satz, in dem die Geige, wenn auch nicht die einzige, so sicherlich die schönste Melodie des ganzen Stückes spielen darf! So oder so ähnlich mag es sich zugetragen haben. Und egal, ob bewusst als Antwort auf Brahms oder nicht: Das zentrale Andantino des h-Moll-Violinkonzerts von Saint-Saëns bezaubert bis heute mit seiner Ohrwurm-Melodie der Violine. Es ist zum Evergreen der Geigenliteratur geworden und hat den Rest des Werks in puncto Bekanntheit etwas in den Hintergrund gedrängt. 

Dabei dürfte sich Pablo de Sarasate auch über die anderen Sätze kaum beschwert haben: Saint-Saëns, der das Wunderkind seit 1859 kannte und dem damals 15-jährigen bereits sein erstes Violinkonzert sowie später sein „Rondo capriccioso“ auf den Leib geschrieben hatte, war bestens vertraut mit Sarasates zugleich lebendigem und leidenschaftlichem wie noblem und lyrischem Geigenspiel. Und genau diese Qualitäten spiegelt sein drittes Violinkonzert: „Das Solo eines Konzerts muss wie eine dramatische Rolle angelegt und behandelt werden“ , lautete Saint-Saëns’ Maxime. Und so scheint das erste Thema des ersten Satzes, das die Solovioline gleich zu Beginn über gespannten Tremoli der Streicher präsentiert, wie der Auftritt eines von schicksalhaften Verwicklungen leidenschaftlich aufgeregten Opernsängers. Nach einigen lebendigen Figurationen kann dieser im ausgesprochen lyrisch-verträumten zweiten Thema allerdings eben auch seine noblen Seiten zeigen. 

Und in genau dieser Polarität stehen dann auch zweite und dritte Satz zueinander: Der idyllischen Barkarole im wiegenden 6/8-Takt folgt das temperamentvolle Finale. Nachdem die Violine sich mit entrückten Flageolett-Wellenfiguren in reizvoller Klangmischung mit der Klarinette von der Trauminsel des Adantinos verabschiedet hat - gleich einer Gondel, die dem Blickfeld entschwindet -, meldet sie sich zum Schlusssatz laut und deutlich zurück. Die ungewöhnliche und wiederum an ein Opern-Rezitativ erinnernde Introduktion ersetzt hier gewissermaßen die im ersten Satz fehlende Solokadenz, bevor das stolze, in Gedanken an Sarasate vielleicht ein wenig spanisch angehauchte Hauptthema gefunden ist. Doch auch im Finale fehlen die lyrischen Momente nicht: Ein schwungvoll-melodisches zweites Thema und ein erst ruhig etablierter, später im Blech feierlich aufgegriffener Choral beweisen einmal mehr die Vielseitigkeit Sarasates.

Unser heutiger Mitschnitt entstand am 6. August 2016 in der Salle des Combins in Verbier, es musizieren Joshua Bell und das Verbier Festival Youth Orchestra unter der Leitung von Joshua Weilerstein:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd