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17.07.2023 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 503

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

im Mittelpunkt steht heute Richard Wagners Hauptwerk: "Der Ring des Nibelungen" - vier Opern an vier Abenden mit einer Gesamtdauer von rund 16 Stunden. Am Ende dieser Ausgabe erwartet Sie heute eine 75-minütige "Light"-Fassung: "Der Ring ohne Worte", zusammengestellt von dem Dirigenten Lorin Maazel.

Überwältigend, bedetungsschwanger, pathetisch: Wagners Werk ist von Anfang an auf Größe angelegt. Der Revolutionär der Oper verbindet Text, Musik und Regie zu einem Gesamtkunstwerk. Die Initialzündung für sein zentrales Werk "Der Ring des Nibelungen" hat Richard Wagner 1843, als er in Jacob Grimms "Deutscher Mythologie" die Geschichten von Wotan, Siegfried und den Walküren liest. Diese basieren auf der Nibelungensage, die später - nicht zuletzt dank Wagner - zum deutschen Nationalepos wird. 1848 beginnt er mit den Arbeiten an der Dichtung, die er 1853 vollendet. Doch die Musik beschäftigt Wagner ungleich länger. Es dauert bis zum 21. November 1874, bis Wagner auf die letzte Seite der Partitur die erlösende Notiz schreibt: "Vollendet in Wahnfried; ich sage nichts weiter!! R.W."

"Der Ring des Nibelungen" ist als "Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend" konzipiert und besteht aus vier Teilen: "Das Rheingold", "Die Walküre", "Siegfried" und "Götterdämmerung". Wagner entwirft das Mammutwerk als neue Form einer romantischen Oper, die als Gesamtkunstwerk Text, Musik, Schauspiel, Tanz, Bühnenbild, Kostüm und Effekte verbindet. Ein künstlerischer Ansatz, der die Welt der Musik und Oper revolutioniert und bis heute nachhaltige Wirkung zeigt. Die Uraufführung findet vom 13. bis zum 17. August 1876 in dem eigens für Wagners Werke erbauten Bayreuther Festspielhaus statt.

Die Handlung des "Ring" ist weit verzweigt und recht unübersichtlich angelegt. Sie geht über mehrere Generationen, mehr als 30 tragende Figuren spielen mit. Trotz vieler Pannen bei der Uraufführung sieht das Publikum über die Startschwierigkeiten hinweg, die Reaktionen sind nahezu ohne Ausnahme überwältigend. Wagner wird weltweit für seinen "Ring" gepriesen und auf eine Stufe mit den größten Komponisten aller Zeiten gestellt. Die Interpretationen seines Hauptwerkes gehen dabei in alle möglichen Richtungen: Manche sehen darin eine Allegorie des Kapitalismus, andere eine Auseinandersetzung mit der Industrialisierung und der Zerstörung der menschlichen Lebenswelt. Auch als religionskritisches Werk wird der "Ring" gedeutet, in dem die Philosophen Schopenhauer, Feuerbach und der Wagner-Freund Nietzsche ihre Spuren hinterlassen haben.

Bis heute, rund 150 Jahre nach seiner Uraufführung, hat der "Ring" für Wagnerianer nichts von seiner Faszination verloren. Er wird auf der ganzen Welt aufgeführt, neu gedeutet, inszeniert und interpretiert.

Beim "Ring ohne Worte" handelt es sich um den anspruchsvollen Versuch, die rund 16-stündige Musik von Wagners "Ring" auf CD-Länge zusammen zu kürzen und dabei auf alle Sänger zu verzichten. Als die amerikanische Plattenfirma TELARC 1987 mit dieser Anfrage an den Dirigenten Lorin Maazel herantrat, besann sich dieser auf Wieland Wagner, der das Orchester als das „Urquell“, das Wesentliche für die Verbindung der Wagner-Figuren zur ursprünglichen Sage bezeichnet hatte. Den Verzicht auf Sänger begriff Maazel dementsprechend nicht als Verlust: „Die Orchesterpartitur selbst ist der Ring, verschlüsselt in einen Klang-Code.“ So wurden die Gesangsstimmen durch jeweils unterschiedliche Instrumente herausgearbeitet. Trotz der innovativen Herangehensweise orientierte sich Maazels Fassung streng am Original: So folgte er im Ablauf genau der Chronologie der vier Ring-Opern und legte trotz der vielen Auslassungen Wert darauf, keine Verbindungspassagen hinzu zu komponieren.
 
Lorin Maazel hat seinem "Ring ohne Worte" folgende Inhaltsangabe gegeben: "So beginnen wir also in der grünlichen Dämmerung des Rheins, treiben flussaufwärts zur Burg der Götter, sinken hinab zu den schmiedenden Zwergen, schwingen mit Donners Hammerschlag, kriechen mit dem durstlechzenden Siegmund zum (vorläufig) heimatlichen Herde der Erquickung spendenden Sieglinde (hier hören wir das schattenhafte Echo einer Flöte zu Sieglindes "Labung biet‘ ich dem lechzenden Gaumen: Wasser, wie du gewollt."). Im Klang-Code sehen wir auch buchstäblich Siegmunds teilnahmsvollen Blick auf Sieglinde, der beiden Flucht, Wotans furchtbare Wut, den Walkürenritt der Schwestern Brünnhildes, Wotans schmerzlichen Abschied von seiner Lieblingstochter, Mimes angsterfülltes Zittern. Wir sehen, wie Siegfried das magische Schwert schmiedet, dem Waldweben lauscht, den Drachen erschlägt, wir hören Fafners mattes Klagelied ("Wer bist du, kühner Knabe"), wir sehen die Morgenröte wachsen um Siegfrieds und Brünnhildes Leidenschaft, Siegfrieds Rheinfahrt, wie Hagen auf dem Stierhorn blasend seine Mannen herbeiruft ("Not ist da…"), Siegfried und die Rheintöchter, seinen Tod, den Trauermarsch und schließlich - der Götter Ende im Feuerschein."

"Der Ring ohne Worte" der Berliner Philharmoniker wurde ein Riesenerfolg und etablierte sich in den Folgejahren als für sich selbst stehendes Konzertstück. Maazel leitete Aufführungen des Stückes mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra (1990), dem New York Philharmonic (2000 und 2008) und den Wiener Philharmonikern (2012). So verwegen die Idee anmutet, Wagners Ring auf 75 Minuten zu komprimieren, so überzeugend ist das Ergebnis von Lorin Maazels "sinfonischer Synthese", die im folgenden Link in einem Konzertmitschnitt mit den Berliner Philharmonikern vom Oktober 2000 dokumentiert ist. Vom ersten Ton des "Rheingolds" bis zum Schlussakkord der "Götterdämmerung" sind darin nahezu alle musikalischen Höhepunkte des gewaltigen Werks zu erleben. Das perfekte Konzert für Wagner-Fans und solche, die es werden wollen:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd