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06.06.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 784

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

muss es sein? Es muss sein! - Dieses Motto steht über unserem heutigen Musikstück - Ludwig van Beethovens Streichquartett Nr. 16 F-Dur op. 135.

Des Einen Steuererklärung ist des Anderen Bügelwäsche! Es gibt sie, diese Dinge, die einem zuverlässig drei widerwillige Worte entlocken: „Muss es sein…?“
Ludwig van Beethoven hat diese drei Worte mit Tönen versehen. Zusammen mit dem Titel „Der schwer gefasste Entschluß“ stehen sie einmal als Frage und zweimal als Antwort angeordnet über dem Schlusssatz seines 16. Streichquartetts. Von Grave – „Muss es sein?“ bis Allegro - „Es muss sein!“ entspinnt Beethoven darin ein tiefgründiges und humorvolles Frage-Antwort-Spiel.

Schon vom ersten Takt an ist in diesem Quartett kammermusikalisches Feingefühl gefragt, denn die Stimmen greifen ständig ineinander und spielen sich die Bälle zu. Den allerersten Anfang macht die Bratsche. Mit ihrem dritten Anlauf bringt sie die Melodie ins Rollen; und als wäre Beethoven schon im ersten Satz um einen Entschluss verlegen gewesen, erklingt das Thema einmal angestoßen nicht in einem Instrument allein, sondern durchwandert leichtfüßig den Stimmensatz.

Im Vivace legt Beethoven den Turbogang ein. Synkopen sorgen für Drive, und im Mittelteil entlädt sich die angesammelte Bewegungsenergie vollends. Während die erste Geige übers Griffbrett hüpft, geraten die Unterstimmen in einen beinahe ruppige Begleitfigur. Das stört aber kein bisschen, denn ehe man sich‘s versieht, ist der zweite Satz auch schon vorbeigerauscht.

Von Streichquartetten wird er geliebt! „Lento assai, cantante e tranquillo“, also „langsam genug, singend und ruhig“ hat Beethoven den wunderbaren dritten Satz seines letzten Quartetts überschrieben, ein Variationssatz in Des-Dur. Das sanfte Thema fließt erst in der ersten Violine, später im Cello und ist Musik zum Seelewärmen.

Auf der Suche nach dem biographischen Anlass von Beethovens Motto-Frage im Schlusssatz haben Musikwissenschaftler:innen schon viel Tinte vergossen. Weil es ausgerechnet der letzte Satz des letzten Quartetts ist, das Beethoven schrieb, während er sich im Herbst 1826 auf dem Land von Krankheit und der Sorge um seinen Neffen erholte, bietet die rätselhafte Überschrift reichlich Raum für Spekulation. Als wahrscheinlich gilt eine Begebenheit, nach der Beethoven beim Wiener Hofkriegsagent Dembscher auf einer stattlichen Leihgebühr für die Noten zum Quartett op.130 beharrte. Der gab lediglich ein lapidares „Wenn es sein muss!“ zurück, was Beethoven zu seinem frechen Kanon „Es muss sein! Heraus mit dem Beutel!“ und eben zum Anfang des vierten Satzes inspiriert haben soll.

Vielleicht ist der ursprüngliche Anlass der Komposition für unser Hören heute aber auch gar nicht so entscheidend. Interessanter dürfte sein, welche Fragen das spannungsvolle Wechselspiel der Stimmen in uns anklingen lässt. Muss es sein? Es muss!

Dieses Streichquartett ist Beethovens letzte vollendete vollständige Komposition. Es entstand im Sommer und im Frühherbst 1826 in zwei Schaffensphasen. Er vollendete es im Oktober 1826 auf dem Landgut seines Bruders Johann in Gneixendorf bei Krems. Nach den drei monumentalen Werken op. 130, 131 und 132 wirkt es wie eine Rückkehr zu Tradition und Gewohntem, gerade auch in der Rückkehr zur traditionellen Viersätzigkeit. Man glaubt sich, wie bei der achten Sinfonie (1809 bis 1812), ebenfalls in F-dur, zeitweise, wenn auch nur scheinbar, in Haydns Welt zurückversetzt. Trotz der größeren Zugänglichkeit und trotz der Kürze ist op. 135 ein echtes spätes Beethoven-Quartett mit überraschenden Brüchen und Wechseln. 

Bestellt hatte das Streichquartett der Berliner Musikverleger Schlesinger, der 1819 näher mit dem Komponisten in Kontakt getreten war und ihm schon ab 1821 wegen neuer Quartette oder Quintette in den Ohren lag. Mit dem Verlagsvertrag vom 4. September 1825 hatte sich Beethoven für zwei Quartette verpflichtet. Das Streichquartett op. 132 hatte Schlesinger Ende 1825 erhalten, ein weiteres war der Komponist dem Verleger noch schuldig.

Beethoven war regelrecht nach Gneixendorf geflohen, nachdem er einen geradezu verheerenden Sommer hinter sich gebracht hatte. Normalerweise verließ er die Stadt bereits spätestens zum August. 1826 war dies nicht möglich: sein geliebter Neffe Karl, dessen Vormund er war, hatte am 6. August versucht, sich umzubringen. Die genauen Beweggründe sind nicht bekannt, möglicherweise hatte Karl Spielschulden. Auch das angespannte Verhältnis zu seinem Onkel, der enormen Druck gegenüber seinem Neffen ausübte, mag dazu beigetragen haben. Für Beethoven war der Suizidversuch seines Neffen eine Katastrophe und der totale Bankrott einer Beziehung, in die er große Hoffnungen gesetzt hatte. Offensichtlich wollte Karl seinen Onkel im Krankenhaus zunächst auch nicht sehen, beide fanden nur mühsam wieder zueinander.

Am 25. September wurde Karl aus dem Krankenhaus entlassen. Nachdem noch einige rechtliche Probleme erledigt - Suizidversuch war eine Straftat - und Karls Zukunft geklärt werden musste (er entschied sich für eine militärische Laufbahn), beschloss Beethoven am 28. September, der Einladung seines Bruders Johann zu folgen und fuhr zusammen mit seinem Neffen nach Gneixendorf. Dort wurde er umsorgt, konnte entspannen und die Schrecken der vergangenen Wochen verarbeiten. Das Streichquartett op. 135, sein letztes großes Werk, wurde laut Aufschrift auf dem Stimmen-Autograph am 30. Oktober 1826 abgeschlossen.

Hier zunächst das Streichquartett in der Originalfassung mit dem Kuss Quartett, der Mitschnitt entstand am 19. März 2021 im Prunksaal des Merkantilgebäudes in Bozen:

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich eine Fassung eine Fassung für Streichorchester mit den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Leonard Bernstein, der Mitschnitt entstand am 17. September 1989 im Wiener Musikverein:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd