Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
in dieser Ausgabe empfehle ich Ihnen gerne das Musikstück, das ich heute Abend im Wiener Musikverein hören werde: Anton Bruckners Sinfonie Nr. 5 B-Dur.
Das Werk entstand in seiner ersten Fassung zwischen Februar 1875 und Mai 1876, wurde jedoch erst 1894 in Graz uraufgeführt. Die Uraufführung konnte Bruckner selbst jedoch krankheitsbedingt nicht miterleben, sodass er sein Werk bis zu seinem Tod 1896 nie von einem Orchester gespielt hörte. Die fünfte Sinfonie wurde zunächst nur in geänderten Fassungen gespielt; erst 1935, also lange nach Bruckners Tod, erklang das Werk in der Originalversion.
Zur Zeit der Komposition lebte Bruckner seit zehn Jahren in Wien. Eben war er (neben einer Dozentenstelle am Wiener Konservatorium) Lektor (eine unbesoldete Stelle) für Harmonielehre und Kontrapunkt an der philosophischen Fakultät der Universität Wien geworden. Bruckner war ein anerkannter, verehrter Orgelvirtuose, den man selbst auf Konzertreisen bis nach Großbritannien schickte. Zu Beginn seines Wiener Aufenthaltes erhielt er ein staatliches Stipendium, unterrichtete einige Privatschüler, eine Stelle an der k.k. Lehreranstalt St. Anna brachte ein übriges.
Dennoch: Zu Beginn des Jahres 1874 fühlte sich Bruckner an einem Tiefpunkt. Obwohl er eifrigst darum bemüht war, seine wirtschaftliche Stellung und sein öffentliches Ansehen zu verbessern, wurde seine Stelle an der Lehreranstalt gekündigt, ein weiteres Stipendium verweigert und die Universitätsstelle nicht in eine bezahlte umgewandelt. Und das Schlimmste: Als Sinfoniker erhielt er immer noch keinerlei Anerkennung. Gegenüber einem Freund äußerte er: „Alles ist zu spät. Fleißig Schulden machen, und am Ende im Schuldenarreste die Früchte meines Fleißes genießen, und die Thorheit meines Übersiedelns nach Wien ebendort besingen, das kann mein endliches Loos werden.“
Es scheint, dass Bruckner das Komponieren in solchen Lagen durchaus als Hilfe empfunden hat. Seine fünfte Sinfonie bezeichnete Bruckner selbst als sein „kontrapunktisches Meisterstück“, und es liegt nahe, den Beginn seiner Tätigkeit an der Universität mit der besonderen Betonung kontrapunktischer Künste in Verbindung zu bringen (einem Schüler gegenüber soll er geäußert haben, „nicht um 1000 Gulden“ wolle er die fünfte Sinfonie noch einmal schreiben).
Allein der Verantwortliche der Uraufführung dieses monumentalen Werks schien die Klangsprache Bruckners weder verstanden noch geschätzt zu haben: Als die Sinfonie 1894 in Graz aus der Taufe gehoben werden sollte, bearbeitete sie der Dirigent Franz Schalk recht grobschlächtig mit umfangreichen Kürzungen sowie Veränderungen und Erweiterungen in der Instrumentierung. Vielleicht war es ein Glück, dass der Komponist aus gesundheitlichen Gründen der Uraufführung nicht beiwohnen konnte...
Drei Mitschnitte empfehle ich Ihnen heute sehr gerne - 1998 eröffnete Günter Wand mit dem damaligen NDR-Sinfonieorchester (heute: NDR Elbphilharmonie Orchester) mit Anton Bruckners Sinfonie Nr. 5 das Schleswig-Holstein Musik Festival in der Lübecker Musik- und Kongresshalle:
Ebenso legendär wie Günter Wands Lesarten sind die Bruckner-Aufführungen mit Sergiu Celibidache und den Münchner Philharmonikern. 1985 wurde die Fünfte in der Münchner Philharmonie im Gasteig aufgeführt:
Innerhalb einer Woche spielte die Staatskapelle Berlin im Juni 2010 unter der Leitung von Daniel Barenboim in der Philharmonie die Bruckner-Sinfonien Nr. 4 bis 9 - eine Marathonleistung für das Orchester. Aus dieser Aufführungsserie stammt der Mitschnitt der Fünften vom 21. Juni 2010:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Urlaubsgrüßen aus Wien
Matthias Wengler