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28.11.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten -709

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

viele Anekdoten ranken sich um Ludwig van Beethovens Streichquartett Nr. 14 cis-Moll op. 131: Er habe es als sein bestes Werk bezeichnet; dieses Streichquartett habe ihm - im Rückblick auf die Werke seiner letzten Schaffensperiode - am meisten am Herzen gelegen. Der Komponist habe darin vieles verarbeitet: gesundheitliche Leiden, die soziale Isolation aufgrund seiner fortschreitenden Ertaubung, und den Selbstmordversuch seines Neffen Karl. Man erzählt sich auch, Franz Schubert habe auf seinem Totenbett gewünscht, dieses Werk noch einmal hören zu dürfen. Wenn die Anekdoten vielleicht nicht alle wahr sind, verraten sie doch, was Generationen von Musikern in diesem Streichquartett zu erkennen glaubten: die persönlichste Musiksprache Beethovens und eine verletzliche Mitteilung aus der letzten Zeit vor seinem Tod.

Kaum war das siebensätzige cis-Moll-Quartett von Beethoven im Druck erschienen, löste es schon die heftigsten ästhetischen Kontroversen aus. Ein Pariser Kritiker nannte es „le dernier effort d´une imagination en delire“, die neueste Leistung einer Einbildungskraft im Delirium!

Zu den glücklichen Momenten nicht nur der Wiener Musikgeschichte gehört jener Tag des Jahres 1823, an dem der Geiger Ignaz Schuppanzigh in seine Heimatstadt zurückkehrte. Der ebenso korpulente wie feurige Violinvirtuose, den Beethoven liebevoll „Milord Falstaff“ nannte, nahm umgehend seinen Posten als Primarius im 1804 gegründeten eigenen Streichquartett wieder auf. Diesem Umstand, der Aura des Wiener Primarius Schuppanzigh, haben wir die späten Streichquartette Beethovens zu verdanken. Die fünf Opera 127, 130, 131, 132 und 135, sowie die Große Fuge op. 133 waren allesamt Schuppanzighs kurzen Fingern auf den geigerischen Leib geschneidert. Dies bedeutete keineswegs, dass der gestrenge Meister mit seinem Primarius gefällig umgegangen wäre: Die berüchtigten klanglichen Schwierigkeiten dieser Quartette bekamen Schuppanzigh und seine Kollegen Holz (2. Violine), Weiss (Bratsche) und Linke (Cello) mit gnadenloser Härte zu spüren. Zwei Wochen Proben reichten nicht aus, um die Uraufführung des Quartetts Opus 127 sauber zu absolvieren, was Beethoven zu einem fürchterlichen Wutanfall veranlasste. Dennoch leitete Schuppanzigh auch die Premieren der folgenden späten Quartette, so auch des cis-Moll-Quartetts op. 131.

Der englische Dichter und Musikkritiker George Bernard Shaw dürfte einer der wenigen Hörer gewesen sein, die nicht vor dem Riesenbau dieses Werkes in Ehrfurcht erstarrten: Nach einer Aufführung des cis-Moll-Quartetts 1894 in London stellte er fest, dass Beethovens späte Quartette im Konzert normalerweise weit besser klängen als seine mittleren, und er fügte in typischer Überspitzung hinzu: „Warum sollte man mich dazu zwingen, die absichtsvollen Intellektualismen, theatralischen Finten und seltsamen Capricen des selbstbewussten Genies anzuhören, wie sie für den mittleren Beethoven so typisch sind und von denen wir mit größtem Ernst zu reden haben, während ich doch diese schönen, simplen, geradlinigen, unprätentiösen, vollkommen verständlichen späten Quartette bevorzuge? Schreckt man vor ihnen nur deshalb zurück, weil sie die Professoren einst für dunkel und unmöglich erklärt haben?“ Erst in den letzten 50 Jahren haben Beethovens späte Quartette ihren Siegeszug durch die Konzertsäle angetreten und damit das Verdikt jener Professoren ebenso widerlegt, wie sie Shaws Urteil bestätigten. Die Quartette sind in ihrer unkonventionellen Satzfolge, der Hingabe an Klangspiel und Sanglichkeit ein Hörgenuss ohnegleichen - trotz aller von der Analyse aufgedeckten Tiefenschichten.

Hier zunächst das Streichquartett cis-Moll op. 131 mit dem Danish String Quartet, aufgezeichnet am 21. Februar 2016 in der New Yorker Alice Tully Hall:

www.youtube.com/watch

Eine besondere Beziehung zu diesem Streichquartett hatte Leonard Bernstein. Schon von 1945 an nahm er immer mal wieder Beethovens Opus 131 in der chorisch besetzten Fassung ins Programm. Er folgte damit seinem Mentor und Vorbild Dimitri Mitropoulos, dem er im Herbst 1945 abgerungen hatte, ihm sein Orchestermaterial für das cis-Moll-Quartett zu leihen. Am 12. Oktober antwortete Mitropoulos unmissverständlich: „Du bist die einzige Person, der ich dieses Material anvertrauen würde, das nirgendwo sonst zu finden ist und das stundenlange, minutiöse Anmerkungen in der Partitur und den Stimmen beinhaltet. Ich habe nichts geändert, außer dass ich eine Kontrabass-Stimme hinzugefügt habe. Aber falls Dir eine meiner Anmerkungen nicht gefällt, sag bitte den Musikern, dass sie sie nicht auskratzen oder etwas hinzufügen sollen. Unter dieser Bedingung werde ich Dir diese Musik leihen.“

Im folgenden Link ist eine kurze Einführung mit Leonard Bernstein zu sehen, sowie die legendäre Aufführung des Quartetts mit den Wiener Philharmonikern, der Mitschnitt entstand 1978 im Wiener Konzerthaus:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd