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19.11.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 855

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

das Kirchenjahr neigt sich dem Ende - am Wochenende wird mit dem Ewigkeitssonntag traditionell der Verstorbenen gedacht. Daher steht in der heutigen Ausgabe wieder einmal eine Requiem-Vertonung im Mittelpunkt, diesmal von John Rutter.

Das Requiem ist möglicherweise John Rutters persönlichstes Werk, denn es entstand nicht als Auftrag, sondern aus der Trauer um seinen 1983 verstorbenen Vater. Inspiration zu seiner Komposition fand Rutter in der Handschrift des fast 100 Jahre zuvor entstandenen Requiems von Gabriel Fauré, mit der er sich im gleichen Jahr beschäftigte. So wie Fauré will Rutter ein tröstendes Werk komponieren, das den Weg aus dem Dunkel ins Licht in Wort und Musik nachzeichnet.

Langsam und feierlich beginnt Rutters Requiem mit regelmäßigen Paukenschlägen, die einen Leichenzug - oder aber auch einen Herzschlag repräsentieren können. Der Chor setzt - einem gregorianischen Choral ähnlich - mit den Worten "Requiem aeternam" ein und erst das Wort "Lux" erleuchtet in einem harmonischen Akkord. Das nun folgende musikalische Leitmotiv wird im letzten Satz, dem Lux Aeterna wieder aufgenommen, und so beginnt und endet Rutters Requiem liturgisch wie die traditionelle Totenmesse. Für den zweiten Satz "Out of the deep" wählt Rutter jedoch den Text des 130. Psalms - "Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir" - und vertont diesen mit bluesartigen Klängen, die uns das Leid auf ganz persönliche, nahezu intime Weise vergegenwärtigen. Im dritten Satz, Pie Jesu, folgt Rutter bewusst seinem Vorbild Fauré, der als erster diesen Text in sein Requiem aufgenommen hat. 

Im Zentrum des Werkes steht, bejahend, fest, den Ruhm Gottes verherrlichend, das Sanctus, begleitet von einem Glockenspiel, welches an das hier während der Messe übliche Glockengeläut erinnert. Nach dem strahlenden Sanctus beginnt der fünfte Satz ungewohnt feierlich und dunkel. Hier verwebt Rutter auf dramatische Weise den lateinischen Text des Agnus Dei mit englischen Texten aus der Totenliturgie des Book of Common Prayer. Der Satz gipfelt in einem ergreifenden Trauermarsch, der allmählich verklingt. Jetzt leitet die Flöte mit einem Zitat aus dem gregorianischen Osterhymnus "Victimae paschali laudes" den Angelpunkt des ganzen Werkes ein: das Osterversprechen "I am the resurrection and the life" - "Ich bin die Auferstehung und das Leben". Hier verwandelt sich Dunkelheit in Licht. Mit einem der wohl beliebtesten Psalmen und englischen Chorälen überhaupt bildet der sechste Satz "The Lord is My Shepherd" den Gegenpol zum düsteren zweiten Satz und festigt die mit der Auferstehungsbotschaft vorbereitete tröstliche Stimmung.

Auf die Frage nach dem großartigen Erfolg seines Requiems - das Werk erlebte innerhalb der ersten sechs Monate nach seiner Veröffentlichung allein in den USA mehr als 500 Aufführungen - verweist Rutter auf die Texte, die wunderbar zeitlos und ergreifend seien. Wir wissen nicht, ob tatsächlich alles so lichterfüllt und segensreich endet, aber der Glaube und die Hoffnung, dass es so sein könnte, ist eine treibende Kraft auf unserem Lebensweg. Diese Aussage musikalisch zu verkünden, sei sein Ziel gewesen, so John Rutter.   

Eine Aufführung mit dem Komponisten selbst am Pult hat immer ihren besonderen Reiz. Im Juni 2018 dirigierte John Rutter sein Requiem in der Basilica di Santa Croce in Florenz im Rahmen eines großen internationalen Chortreffens - sehen Sie hier den Mitschnitt, die Solistin ist Camille Ortiz, es spielt das Orchestra da Camera di Fiorentina:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd