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15.07.2022 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 352

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

coronabedingt werden viele Ehen erst in diesem Jahr geschlossen. Ein Blick in meinen Kalender genügt: Selten habe ich als Organist so viele Trauungen gespielt wie in diesem Jahr. Und auch hier wird heute - nach etlichen Umwegen - geheiratet: Unser heutiges Musikstück ist die Oper "Le Nozze di Figaro" von Wolfgang Amadeus Mozart.

Mozarts epochale Oper entstand in einer hochtheatralischen Zeit. 1786, drei Jahre vor der Französischen Revolution, lagen die Nerven von Adligen und Bürgern blank. Zwischen der libertären Lebensweise der Aristokraten und den immer lauter werdenden Moralappellen des Bürgertums, das bald schon „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" für sich reklamieren sollte, wuchsen die Spannungen; das Pulverfass war kurz vor der Explosion.

Die Hochzeit des Dienerpaares Figaro und Susanna steht kurz bevor, und alles könnte so schön sein - wären da nicht der liebeslüsterne Graf Almaviva, der Susanna seit Langem nachstellt, sowie der rachsüchtige Doktor Bartolo und seine Haushälterin Marcellina, die eine Hochzeit allesamt verhindern wollen. Nach zahlreichen Intrigen, die sich alle an einem einzigen Tag abspielen, gelingt es Figaro und Susanna mit Hilfe der Gräfin und dank eines ausgeklügelten Racheplans schließlich, Almaviva mit seiner eigenen Verführungskunst zu schlagen und am Ende alle rechtmäßigen Paare (wieder) zusammenzuführen. Eine detaillierte Handlung zu den einzelnen Akten finden Sie am Ende dieses Newsletters.

Es scheint in Mozarts Werk überhaupt keine gemäßigten, „normalen" Gefühle zu geben; die Figuren in seiner Oper schlittern über das Eis einer Endzeit, sie tanzen auf dem Vulkan des 18. Jahrhunderts. Vorlage für Mozarts "Le Nozze di Figaro" bot ein Theaterstück von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, "Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit". Beaumarchais übte in seinem Stück ziemlich unverhohlen Kritik am Adel, der sich feudale Rechte herausnimmt, die sich eigentlich schon überlebt haben. Sein Ziel war weniger, den Adel an sich anzugreifen, sondern "die Missbräuche, die diese Stände treiben", denn "man kann die Menschen nur ändern, indem man sie zeigt, wie sie sind". Beaumarchais hatte in Frankreich mit der Zensurbehörde und zunächst auch mit der Ablehnung des Hofes zu kämpfen, bis es 1784 endlich zur außergewöhnlich erfolgreichen Uraufführung in der Pariser Comédie Francaise kommen konnte.

Mozarts Opera buffa verlangt nach lebendigem Ensembletheater wie kein zweites Werk der Operngeschichte. Sein Librettist Lorenzo da Ponte entschärfte die Handlung, zudem wurde einer Opernaufführung in italienischer Sprache offenbar auch weniger Sprengkraft als einem deutschen Sprechstück beigemessen, sodass sich Mozart und sein Textdichter zuletzt sogar kaiserlicher Unterstützung bei der Uraufführung am 1. Mai 1786 im Wiener Burgtheater erfreuen konnten. Ein wirklich großer Erfolg war dem Werk allerdings erst bei seiner Prager Erstaufführung im darauffolgenden Jahr beschieden. Die Oper ist kein sozialrevolutionäres Stück mit umstürzlerischen Tendenzen im eigentlichen Sinn, dennoch wurde die Botschaft, vor allem auch vor dem Hintergrund der Beaumarchais'schen Vorlage, verstanden, und die Wiener Realzeitung schrieb: "Was in unsern Zeiten nicht erlaubt ist gesagt zu werden, wird gesungen." "Le Nozze di Figaro" war die erste von drei Opern der erfolgreichen Zusammenarbeit von Mozart und da Ponte - es folgten noch Don Giovanni (1787) und Così fan tutte (1790).

Unter den zahlreichen Inszenierungen, die verfügbar sind, habe ich mich für die Inszenierung von Jürgen Flimm an der Berliner Staatsoper Unter den Linden vom November 2015 entschieden, die ich mir selbst im Schiller-Theater mit großem Vergnügen angesehen habe. Für seine bereits dritte Inszenierung dieses musikalischen Meisterwerks verlegt Flimm die Handlung in die Ferienvilla des Grafen Almaviva - ein Ort, an dem der Graf bereits seine Kindertage verbracht hat, der voller Erinnerungen steckt und an dem die Spuren der Zeit sichtbar werden.

Für den Dirigenten Gustavo Dudamel, der hier die Staatskapelle Berlin leitet, war es die erste Neuproduktion an der Berliner Staatsoper. In den Hauptrollen sehen Sie Ildebrando D'Arcangelo (Graf Almaviva), Dorothea Röschmann (Gräfin Almaviva), Anna Prohaska (Susanna), Lauri Vasar (Figaro) und Marianne Crebassa (Cherubino):

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Urlaubsgrüßen von der Nordsee

Matthias Wengler


Und hier noch die Zusammenfassung der einzelnen Akte:

1. Akt
Die Hochzeit Figaros mit der Kammerzofe Susanna steht unmittelbar bevor. Doch Susanna warnt Figaro, dass der Graf ihr nachstellt und auf dem ius primae noctis besteht, dem Recht des Feudalherrn auf die erste Nacht. Marcellina, die Haushälterin des Doktor Bartolo, bittet diesen um Hilfe in einem alten Rechtsfall: Sie hat einst Figaro ein Darlehen gewährt unter der Bedingung, dass er sie heiratet, falls er seine Schulden nicht begleichen kann. Nun möchte sie Figaros Hochzeit mit Susanna platzen lassen. Bartolo versichert sie seiner Unterstützung. Der Page Cherubino klagt Susanna sein Leid: Der Graf hat ihn bei Barbarina erwischt und vom Schloss gejagt. Nun erwischt er ihn beinahe wieder – Cherubino kann sich gerade noch verstecken, als der Graf Susanna aufsucht und ihr Avancen macht. Schließlich platzt auch noch der intrigante Basilio ins Zimmer, der Graf versteckt sich ebenfalls. Doch Basilios Klatsch über Cherubinos Schwärmerei für die Gräfin lockt Almaviva schnell wieder aus seinem Versteck hervor. Er schildert, wie er Cherubino bei Barbarina erwischte, und entdeckt den Pagen auch hier wieder. Nun kann den Grafen nichts mehr umstimmen: Er ernennt Cherubino zum Leutnant in seinem Regiment und befiehlt seine sofortige Abreise.

2. Akt
Die Gräfin ist verzweifelt, als sie von Susanna erfährt, dass ihr Gatte im Schloss anderen Frauen nachstellt. Figaro hat indessen begonnen eine Intrige zu spinnen: Er hat Almaviva ein gefälschtes Billet zugespielt, in dem von einem Treffen der Gräfin mit einem angeblichen Liebhaber die Rede ist. Außerdem soll Susanna den Grafen um ein Stelldichein des Nachts im Garten bitten, zu dem dann Cherubino, als Mädchen verkleidet, erscheinen soll. Zögernd willigen die Frauen in den Plan ein und beginnen Cherubino umzuziehen. Da klopft der Graf, rasend vor Eifersucht, an die verschlossene Tür. Die Gräfin versteckt Cherubino in einer Kammer und schließt ab. Almaviva glaubt seinen Argwohn bestätigt und holt Werkzeug, um die Tür zur Kammer aufzubrechen; er nimmt die Gräfin mit. Susanna, die alles gehört hat, befreit Cherubino, der aus dem Fenster entflieht, und verbirgt sich statt seiner in der Kammer. Der Graf und die Gräfin staunen nicht schlecht, als ihnen aus der Kammer Susanna entgegentritt.
Der Gärtner Antonio beschwert sich beim Grafen, dass ein Mann aus dem Fenster gesprungen sei und seine Blumen zertrampelt habe. Figaro hat Cherubino gesehen und behauptet, er selbst sei es gewesen. Die Verwirrung ist perfekt, als Bartolo und Marcellina mit Basilio als Zeuge erscheinen und auf dem alten Vertrag Figaros mit Marcellina bestehen.

3. Akt
Susanna verabredet mit dem Grafen ein Stelldichein im Garten. Doch im Weggehen trifft sie auf Figaro und bedeutet ihm, sein Prozess sei schon gewonnen. Der Graf fühlt sich hintergangen und schäumt vor Wut. Als Marcellina und Bartolo mit dem Richter Don Curzio kommen, um von Figaro die Einlösung des alten Ehevertrags zu fordern, stellt sich heraus, dass Figaro das geraubte Kind Bartolos und Marcellinas ist. Der Vertrag ist null und nichtig. Die Gräfin und Susanna haben beschlossen, nach der Hochzeit ihre Kleider zu tauschen; zum nächtlichen Rendezvous mit dem Grafen wird die Gräfin selbst gehen. Gemeinsam schreiben sie ein Billet, um den genauen Ort zu vereinbaren. Barbarina hat inzwischen Cherubino als Mädchen verkleidet. Antonio, Barbarinas Vater, hat dies dem Grafen verraten und deckt nun die Verkleidung auf. Doch bevor der Graf Cherubino bestrafen kann, bittet Barbarina um Cherubinos Hand. Wieder sind die Pläne des Grafen vereitelt. Endlich findet die Hochzeit statt, bei der nicht nur Susanna und Figaro, sondern auch Marcellina und Bartolo getraut werden. Während der Feier steckt Susanna dem Grafen das Billet zu. Figaro beobachtet, wie sich der Graf an der Nadel sticht, mit der das Briefchen verschlossen ist, und schlussfolgert, dass es sich um ein galantes Geheimnis handelt.

4. Akt
Barbarina soll die Nadel als Zeichen des Einverständnisses Susanna zurückbringen, hat sie jedoch im Garten verloren. Figaro und Marcellina treffen sie bei ihrer verzweifelten Suche und erfahren auf diese Weise, dass Susanna es war, die dem Grafen bei der Hochzeit ein Billet zugesteckt hat. Figaro ist verzagt, aber Marcellina zeigt weibliche Solidarität und warnt sie. Nach und nach treffen im nächtlichen Garten Susanna und die Gräfin, Cherubino und der Graf ein. Ein turbulentes Verwirrspiel beginnt, bei dem Susanna Figaro foppt und Figaro ihr es mit gleicher Münze heimzahlt, Cherubino aus Versehen den Grafen küsst, Figaro dafür eine Ohrfeige kassiert und der Graf seine eigene Frau zum Rendezvous trifft in dem Glauben, sie sei Susanna. Schließlich erwischt der Graf die vermeintliche Gräfin – die aber Susanna ist – mit Figaro. Er trommelt Volk und Diener zusammen, um einen Skandal zu inszenieren. Doch da gibt sich die wahre Gräfin zu erkennen; der Graf bittet sie um Verzeihung, und so findet der tolle Tag ein gutes Ende.

Beitrag von sd