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30.11.2023 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 557

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

vor einigen Wochen habe ich mit dem Rundfunkchor Berlin und den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Jakub Hruša eine großartige und tief bewegende Aufführung unseres heutigen Musikwerks erleben dürfen: Das Stabat Mater op. 58 von Antonín Dvorák.

Eigene schmerzvolle Erfahrungen und Schicksalsschläge dürften Dvoráks Beschäftigung mit dem Leid der Gottesmutter, die weinend unter dem Kreuz ihres Sohnes steht, veranlasst haben. Mit großer Sensibilität geht die Musik auf die unterschiedlichen Stimmungsgehalte des liturgischen Textes ein. Neun Sätze im langsamen bis gemäßigten Tempo dienen als eine Art Passionsmeditation, ehe am Ende des zehnten Satzes die Ekstase einer Auferstehungsvision Oberhand gewinnt.

Der junge Dvořák war ein studierter und erprobter Kirchenmusiker, der in Prag die Orgelschule absolviert hatte und drei Jahre lang als Organist an St. Adalbert seinen  Dienst versah. Die Suche nach einer „wahrhaft geistlichen Musik“ beschäftigte ihn von Anbeginn. Wie zahlreiche seiner Kollegen leitete auch ihn die zeitgenössische Strömung des Cäcilianismus zu einer Auseinandersetzung mit dem Palestrinastil hin, und damit zur Rückbesinnung auf jene bescheidenere, weniger prunkvolle, dabei aber kontrapunktisch ausgeklügelte Kirchenmusik einer früheren Epoche. Folgerichtig entstand zunächst ein Stabat Mater ohne orchestralen Prunk mit schlichter Klavierbegleitung. Das lateinische Gebet aus dem Mittelalter, das als Sequenz in die Liturgie des Marienfestes der Sieben Schmerzen und als Hymnus Eingang in das Offizium fand, ist ein Appell an die Menschlichkeit - die Gottesmutter sieht ihren gedemütigten, misshandelten Sohn am Kreuz sterben -, steht über jeder konfessionellen Tradition und lässt niemanden unberührt.

Kurz bevor Dvořák zwischen dem 19. Februar und 7. Mai 1876 diese erste Fassung seines Stabat Mater niederschrieb, hatte ein schwerer Schicksalsschlag die junge Familie getroffen: Am 19. Dezember 1875 war Tochter Josefa zwei Tage nach ihrer Geburt gestorben. Als im August 1877 seine elf Monate alte Tochter Ružena und sein dreijähriger Sohn Otakar starben, nahm Dvořák die Arbeit am Stabat Mater wieder auf, orchestrierte das Werk und vollendete es am 13. November. Die Uraufführung jener späteren Fassung fand am 23. Dezember 1880 in Prag statt, die Veröffentlichung wenige Monate danach. Seitdem hat sein Stabat Mater Menschen auf der ganzen Welt berührt; es ist seine bedeutendste Komposition in der Gattung der Geistlichen Musik.

Drei Aufführungen empfehle ich Ihnen heute sehr gerne - zunächst ein Mitschnitt aus dem Luzerner Kultur- und Kongresszentrum vom 28. März 2015, es musizierten
Erin Wall, Mihoko Fujimura, Christian Elsner, Liang Li sowie Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Symphonieorchester unter der Leitung von Mariss Jansons:

www.youtube.com/watch

Im Rahmen der Styriarte führte Nikolaus Harnoncourt Dvoráks Stabat Mater am 30. Juni 2012 im Grazer Stefaniensaal auf, die Mitwirkenden waren:
Luba Orgonášová, Elisabeth Kulman, Saimir Pirgu, Roben Drole, der Arnold Schoenberg Chor und das Chamber Orchestra of Europe:

www.youtube.com/watch

Unser letzter Konzertmitschnitt kommt vom Festival de Saint-Denis: In der dortigen Basilika musizierten am 13. Juni 2014 Angela Denoke, Varduhi Abrahamyan, Steve Davislim, Alexander Vinogradov, der Philharmonische Chor Prag und das Orchestre Philharmonique de Radio-France unter der Leitung von Jakub Hruša:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd