Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
heute wieder einmal ein Blick in meinen Arbeitsplatz: Aktuell liegen auf meinem Klavier-Notenpult u. a. Robert Schumanns "Bilder aus Osten" op. 66. Dieses Werk für Klavier zu vier Händen werde ich am 30. Juni gemeinsam mit meinem Schöninger Kollegen Matthias Laidler in der Stadtkirche Königslutter musizieren.
Robert Schumann war fasziniert vom Orient. Ein Buch eines mittelalterlichen Dichters inspirierte ihn zu dem sechsteiligen Klavier-Zyklus "Bilder aus Osten" zu vier Händen. Schumann hatte bereits mehrere Gedichte aus dem "West-östlichen Divan" von Goethe vertont, als ihm ein Buch des Dichters und Sprachgelehrten Abu Muhammad al-Qasim Ibn Ali al-Hariri in einer Übersetzung von Friedrich Rückert in die Hände fiel. Ali al-Hariri reiht volkstümliche Geschichten ohne fortlaufende Handlung in sogenannten Makamen aneinander - eine Gattung arabischer gereimter Prosa. Abu Said, die Hauptfigur der Makamen - Schumann verglich sie mit dem deutschen Till Eulenspiegel - sei ihm während der Komposition nicht aus dem Sinn gegangen. Ende November 1848 komponierte Robert Schumann die "Bilder aus Osten" und schenkte sie seiner Frau Clara zu Weihnachten.
Seitdem wird dieses Werk häufig mit dem Zusatz "exotisch", "arabisch" oder "fremdländisch" versehen. Orientalische Musik, die arabische Tonskalen aufgreift, sucht man hier allerdings vergebens. Es sind vielmehr Stimmungsbilder voller Poesie und Innigkeit. Der Zyklus beginnt mit einem lebhaften Satz ("Lebhaft"), welcher leidenschaftlich beginnt, dann einen ruhigeren Abschnitt durchläuft und schließlich wieder in den Anfangssatz übergeht. Mit dem zweiten lyrischen Stück ("Nicht schnell und sehr gesangvoll zu spielen") erinnert Schumann daran, dass er ein Meister des Liedes war. Das dritte Stück ("Im Volkston") bietet eine einfache und pseudo-populäre Melodie und Schumann knüpft damit an eine der Hauptinspirationen der Romantiker an. Das vierte Stück, gespielt in langsamem Tempo ("Nicht schnell"), entfaltet ein einfaches Thema, das subtil und von einem Gegentakt begleitet wird. Das fünfte Stück ("Lebhaft") kehrt zum schnellen Tempo und einer leidenschaftlichen Atmosphäre zurück, die durch kontrastierende Episoden gekennzeichnet ist, bevor das Hauptthema wiederkehrt. Das letzte Stück ("reuig, andächtig") widerspiegelt den reumütigen Helden. Dieser wird durch den Topos der absteigenden Linien und klagenden Konnotationen, gesammelt mit einer an einen Choral erinnernde Schreibweise in parallelen Bewegungen, gespielt. Seine leidenschaftliche Natur bricht jedoch mehrmals und regelmäßig hervor, bevor diese endgültig zur Ruhe kommt.
Bis heute haben die „Bilder aus Osten“, die nuanciert eine breite Palette von Klangmöglichkeiten im vierhändigen Zusammenspiel nutzen, nichts von ihrem Reiz eingebüßt.
Unser heutiger Mitschnitt kommt aus New York. Am 29. Juli 2019 musizierten Anna Polonsky und Orion Weiss Schumanns "Bilder aus Osten" im Stanley H. Kaplan Penthouse im Rahmen des Mostly Mozart Festivals:
Für alle, die Schumanns"Bilder aus Osten" live erleben möchten, folgt abschließend noch ein Hinweis unser nächstes Konzert in der Stadtkirche:
Freitag, 30. Juni 2023, 19:30 Uhr, Stadtkirche, Königslutter
Klaviermusik zu zwei und vier Händen
Werke von Wolfgang Amadeus Mozart, Robert Schumann,
Claude Debussy, Aram Chatschaturjan und Sergej Rachmaninoff
Matthias Laidler und Matthias Wengler, Klavier
Eintritt: 15 € / 7,50 € ermäßigt für Schüler und Studenten
Vorverkauf: Buchhandlung Kolbe - Sarinas Bücher- und Spieleparadies und www.coramclassic.de
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler