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25.10.2023 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 546

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

ein schicksalshafter Krankheitsverlauf ist Auslöser für unser heutiges Musikstück: Bedrich Smetanas Streichquartett Nr. 1 e-Moll "Aus meinem Leben".

Das erste von zwei Streichquartetten des tschechischen Komponisten trägt diesen Beinamen. Zu dieser Autobiographie in Tönen wurde Smetana im Alter von 50 Jahren durch sein „unabwendbares Schicksal“ gedrängt: die durch Syphillis ausgelöste Taubheit, die sich 1874 durch ein Pfeifen im Ohr angekündigt hatte und 1876, im Entstehungsjahr des Quartetts, zur Gewissheit geworden war.

Ähnlich wie Tschaikowsky in seinen letzten beiden Sinfonien ließ Smetana vor diesem tragischen Hintergrund sein Leben in einem groß angelegten viersätzigen Werk instrumentaler Programmmusik Revue passieren. Er bediente sich ähnlicher musiksymbolischer und zyklischer Mittel wie sein russischer Kollege, um das Verhängnisvolle des persönlichen Schicksals, aber auch die überpersönliche Ebene des Volkslebens auf romantische Weise in Töne zu fassen. Das Programm des Quartetts, das sich daraus ergab, hat Smetana in einem Brief klar umrissen:

„Was ich beabsichtige: den Verlauf meines Lebens in Tönen zu schildern. Erster Satz: Neigung zur Kunst in meiner Jugend, romantische Stimmung, unaussprechliche Sehnsucht. Gleichzeitig melden sich schon in diesem Beginn die Warnung vor dem künftigen Unglück und der langanhaltende Ton, das viergestrichene E, aus dem Finale; es ist dies jenes verhängnisvolle Pfeifen in den höchsten Tönen, das 1874 in meinen Ohren entstand und mir die beginnende Taubheit anzeigte…
Der zweite Satz. Quasi Polka, führt mich in der Erinnerung zurück in das lustige Leben meiner Jugendzeit, wo ich als Komponist meine Umwelt mit Tanzstücken überschüttete, selbst als leidenschaftlicher Tänzer bekannt war usw…
Der dritte Satz. Largo sostenuto, erinnert mich an das Glück der ersten Liebe zu einem jungen Mädchen, das später meine treue Gattin wurde.
Der vierte Satz: Erkenntnis der elementaren Kraft der Nationalmusik, Freude über den Erfolg des eingeschlagenen Weges bis zum Augenblick der jähen Unterbrechung durch die ominöse Katastrophe: Beginn der Taubheit. Ausblick in eine freudlose Zukunft, ein kleiner Schimmer der Hoffnung auf Besserung, schließlich doch nur ein schmerzliches Gefühl.
Das ist etwa der Inhalt der Komposition, die gleichsam privaten Charakter hat und deshalb absichtsvoll nur für vier Instrumente geschrieben wurde: sie sollen sich sozusagen im engsten Freundeskreis darüber unterhalten, was mich so bedeutungsvoll bewegt. Nicht mehr.“

Angesichts des weitgehend orchestralen Quartettsatzes und der unverhohlenen Neigung zur Programmmusik verwundert es nicht, dass das Quartett erst mit der deutschen Erstaufführung 1880 in Weimar unter der Ägide von Franz Liszt seinen Durchbruch feiern konnte. Die konservative Prager Kammermusikvereinigung, der das Werk eigentlich gewidmet war, hatte es zuvor als „zweifelhaft im Stil“ und „technisch unüberwindlich“ abgelehnt.  

Unser heutiger Konzertmitschnitt kommt aus einem der schönsten Kammermusiksäle weltweit, der Londoner Wigmore Hall. Smetanas Streichquartett "Aus meinem Leben" wurde dort am 23. Februar 2020 vom Meccore String Quartet aufgeführt:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd