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05.01.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 572

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

2024 ist Bruckner-Jahr - in diesem Jahr gedenkt die Musikwelt dem 200. Geburtstag des österreichischen Komponisten am 4. September. Daher ist die heutige Ausgabe einem Schlüsselwerk Bruckners gewidmet: Die Sinfonie Nr. 7 E-Dur WAB 107.

Anton Bruckner lebte seinen katholischen Glauben in einer außerordentlichen Konsequenz. Im Stift St. Florian war er als Sängerknabe mit den kirchlichen Gepflogenheiten aufgewachsen, später diente er dort und dann am Linzer Dom als Organist mit einer solchen Devotheit, dass Johannes Brahms verächtlich kolportierte, Bruckner sei ein "armer, verrückter Mensch, den die Pfaffen von St. Florian auf dem Gewissen" haben. Den katholischen Moralkodex hatte Bruckner zutiefst verinnerlicht, die Rituale des Beichtens und Fastens legte er mit einer peinlichen Genauigkeit ab; er führte Buch über jeden Rosenkranz, jedes Ave Maria. Doch aus dem rigorosen Glauben zog er auch Kraft: "Unter Tausenden hat mich Gott begnadigt und dies Talent mir, gerade mir gegeben", bekannte er. Und, sich wieder vor seinem Schöpfer verantwortend: "Ich will aber weiterwirken, damit mich einst bei der großen Abrechnung der liebe Gott nicht beim Schopfe nehmen und zu mir sagen kann: Lump, warum hast du dein Pfund nicht ausgenutzt, das ich dir einst gab?"

Man hat Bruckners gewaltige Sinfonien mit der himmelstrebenden Hoheit gotischer Kathedralen verglichen. Und die Herkunft des Komponisten von der Orgel ist auch in der Siebten mit ihren registerartigen Klangfarbenwechseln und Choralzitaten unüberhörbar. Doch dieser sakrale Raum wird hier erweitert um deutliche Wagner-Anklänge.

Fällt ein Genie vom Himmel oder darf es reifen und wachsen? Während ein Johannes Brahms durch die Unterstützung von Robert Schumann schon im Alter von 20  Jahren erstmals eine Komposition veröffentlichen konnte und früh Anerkennung erfuhr, war Anton Bruckner ein Spätzünder. 1865 war er dem von ihm sehr verehrten Richard Wagner begegnet und besuchte ihn 1873 in Bayreuth. Dort hatte der sehr mit Festspielvorbereitungen beschäftigte Meister die Widmung der dritten Sinfonie angenommen, sich jedoch kaum weiter für ihn eingesetzt. Als die Uraufführung dieses Werks 1877 durchfiel, war Bruckners Renommee stark beschädigt. Auf die Uraufführung der vierten Sinfonie 1881 folgt eine große Lücke: Bruckner ist es in den Folgejahren nicht geglückt, seine fünfte oder sechste Sinfonie in einem Konzert der Öffentlichkeit zu Gehör zu bringen. Erst seine siebte Sinfonie brachte die Wende

Arthur Nikisch hatte 1873 in Wien als Geiger bei den Philharmonikern die Zweite mitgespielt und sich den Namen Bruckner gemerkt. Nun war er Dirigent in Leipzig und brachte mit dem Gewandhausorchester die Siebte am 30. Dezember 1884 zur Uraufführung. Von Sachsen aus trat das Werk seinen Weg um die Welt an. Nach der Uraufführung folgten Konzerte in München, Köln, Hamburg, Graz sowie 1886 in Wien. Dort reagierte die Presse zwar wie gewohnt skeptisch, und der prominente Musikkritiker Eduard Hanslick verspottete das Werk als "sinfonische Riesenschlange" und als "wüsten Traum eines durch zwanzig Tristan-Proben überreizten Orchestermusikers". Doch auch diese Mäkel-Kritik konnte nicht verhindern, dass Bruckners Siebte die meistgespielte und eine seiner bedeutendsten Kompositionen werden sollte. Den großen Erfolg der Aufführung in München unter Hermann Levi nahm Bruckner zum Anlass, seine Siebte König Ludwig II. zu widmen. Bereits für das Jahr 1886 sind drei Aufführungen in Übersee (Boston, New York und Chicago) dokumentiert. Und es hat sicher mit diesem Erfolg zu tun, dass von der Sinfonie nur eine einzige Fassung vorliegt. Gerade für Bruckner, der alle seine Großwerke mehrfach revidiert hat, ist das sehr untypisch.

Zu besonderer Berühmtheit hat es das Adagio gebracht, in dem Bruckner, wie im vierten Satz des Werkes, die sogenannten Wagnertuben verwendet, die der Meister für den "Ring des Nibelungen" konstruiert hatte. Als Bruckner von Richard Wagners Tod erfuhr, der am 13. Februar 1883 in Venedig verstorben war, hatte er den langsamen Satz in einer ersten Fassung bereits abgeschlossen. Nun komponierte er einen Klagegesang als zweite Coda, deren Beginn in der Partitur mit einem „x“ markiert ist. Zur Werkgeschichte gehört auch, dass dieser oft als „Trauermarsch für Richard Wagner“ bezeichnete langsame Satz am 1. Mai 1945 im Anschluss an die Verkündigung von Hitlers Selbstmord im Reichsrundfunk gespielt wurde - auf des Diktators eigenen Wunsch hin.

Bis heute ist Bruckners siebte Sinfonie eine seiner meistgespielten Sinfonien und in allen Konzertsälen der Welt heimisch. Man kann aber nur darüber mutmaßen, warum der Durchbruch erst mit diesem Werk gelang, hatte Bruckner doch seinen Stil bereits in früheren Sinfonien gefunden. Festzuhalten ist aber, dass die ungewöhnlichen Ausmaße seiner Sinfonien und die wellenartigen Steigerungen in weiten Bögen dem Publikum erstmals vor der Uraufführung der Siebten in Einführungsvorträgen vermittelt wurde. Man kann also durchaus davon ausgehen, dass die günstige Aufnahme durch die Leipziger Zuhörer sich auch auf dieses zusätzliche Engagement Nikischs zurückführen lässt.  

Drei Mitschnitte empfehle ich Ihnen heute - zunächst ein wahrhaft historisches Konzert der Berliner Philharmoniker. 1946, in den dramatischen Jahren der Nachkriegszeit, wurde der junge Sergiu Celibidache ans Pult der Philharmoniker berufen und erwies sich als sensationeller Glücksgriff. Nach langen 38 Jahren kehrte er am 31. März 1992 an seine ehemalige Wirkungsstätte zurück. Es war ein emotionales Wiedersehen, das in einer eindringlichen Aufführung von Bruckners Siebter Symphonie gipfelte - eine Sternstunde in der Geschichte dieses Orchesters. Das Konzert im Berliner Konzerthaus war das letzte Celibidaches gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern vor seinem Tod 1996.

www.youtube.com/watch

Zu diesem Konzert an dieser Stelle noch einige Anmerkungen: 1992 kehrt Sergiu Celibidache ans Pult der Berliner Philharmoniker zurück. Die Alten sind längst weg, natürlich. Die am meisten gegen ihn gestänkert hatten. Die auf ihrem hohen Ross saßen, auf dem in Großbuchstaben "Berliner Philharmoniker" stand, und die es 1954 partout nicht einsehen wollten, dass er, der junge genialische Dirigent, stundenlang an ein paar Takten feilen wollte - mit ihnen, den weltbesten Musikern.

Dabei war er doch als Retter in der Not gekommen, 1945, als der Chef Wilhelm Furtwängler nicht mehr dirigieren durfte, weil er auf seine Entnazifizierung wartete. Wie glücklich war das Orchester damals, als der junge, zwar charismatische, aber auch kontroverse Celibidache die Konzerte übernahm. Als Furtwängler zurückkam, durfte Celibidache als Gast weiter dirigieren. Dann starb Furtwängler 1954, und Celibidache machte sich Hoffnungen. Er hatte das Orchester mittlerweile über 400 Mal dirigiert, und es waren beglückende Konzerte gewesen - jetzt würde er der Chef werden. Allerdings verkannte Celibidache die Lage. Die Musiker hatten einen Hass entwickelt gegen seine pedantische Probenarbeit. Dass der streitlustige Celibidache immer öfter auch gefordert hatte, die Querulanten aus dem - Zitat - "Provinz-Orchester" zu entlassen, kam hinzu. Sie stimmten gegen ihn, Herbert von Karajan wurde neuer Chef, und Celibidache war schwer beleidigt.

Beinahe vier Jahrzehnte Funkstille. Bis Bundespräsident Richard von Weizsäcker ihn am 31. März 1992 für ein Benefizkonzert anfragte. Celibidache, milde geworden, war glücklich, das Orchester war verjüngt, das Konzert war ein später Triumph. Einen kleinen Einblick in die hochspannungsgeladene Probenarbeit gibt die Dokumentation "Sergiu Celibidache - Rückkehr nach 38 Jahren" von Wolfgang Becker, aus der Sie hier einen kleinen Ausschnitt sehen können:

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich noch zwei weitere Mitschnitte mit Bruckners Siebter: Der Ehrendirigent des NDR Sinfonieorchesters (heute: NDR Elbphilharmonie Orchester), Günter Wand, dirigierte Anton Bruckners Sinfonie Nr. 7 am 28. August beim Abschlusskonzert des Schleswig-Holstein Musik Festivals in der Lübecker Musik- und Kongresshalle:

www.youtube.com/watch

Und zum Schluss ebenfalls noch ein Dirigent, den man oft mit Bruckner-Sinfonien in Verbindung bringt: Bernard Haitink bei seinem bewegenden Abschiedskonzert am 15. Juni 2019 mit dem Radio Filharmonisch Orkest im Amsterdamer Concertgebouw. Im ersten Teil des Konzerts singt Camilla Tilling Lieder von Richard Strauss:
Vier Lieder op. 36 – Das Rosenband
Sechs Lieder op.68 – Ich wollt ein Sträusslein binden / Säusle, liebe Myrte
Sechs Lieder op.56 – Die heiligen drei Könige aus Morgenland
Vier Lieder op.27 – Morgen

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Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd