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13.09.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 679

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

der Komponist unseres heutigen Musikstücks hatte ein wahrhaftig noch jugendliches Alter: 15 Jahre jung war Felix Mendelssohn Bartholdy, als er seine Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 11 komponierte.

"Der Erfolg gestern Abend war größer, als ich ihn mir je hätte träumen lassen", schrieb Felix Mendelssohn nach der bejubelten Erstaufführung seiner ersten Sinfonie in London. Das Publikum war so begeistert, dass Mendelssohn im Konzert gleich mehrere Sätze wiederholen ließ. Die Sinfonie markiert einen Übergang von Mendelssohns frühen Streichersinfonien zu seinen reiferen Werken. Entstanden im März 1824, trägt sie einerseits noch jugendlich-stürmische Züge, zeigt aber andererseits die große Reife des erst 15-jährigen Mendelssohn. Später hat er sich jedoch von seiner so erfolgreichen c-Moll-Sinfonie distanziert, was offenbar bis heute nachwirkt: das Werk wird nur noch ganz selten aufgeführt.

Zwar hat Mendelssohn das Werk Jahre später einmal als „wirklich kindisch“ bezeichnet, andererseits hielt er sie nicht nur der Veröffentlichung im Druck würdig, sondern führte sie wesentlich häufiger auf als beispielsweise die heute so populäre „Italienische“ oder seine „Reformations"-Sinfonie. „Kindisches“ lässt sich an diesem Werk wirklich nichts ausmachen - im Gegenteil: Die Expressivität und gleichzeitig die Eleganz, mit der das Stück durchgeführt ist, lässt es als das eindrucksvolle Werk eines „jungen Wilden“ vernehmen.

Schon der energische c-Moll-Beginn des ersten Satzes mit seinem in kurzer Zeit einen großen Tonraum durchmessenden und mit sprechenden Pausen durchsetztem Thema zeigt das an. Natürlich kann man als Reminiszenzen-Jäger Anklänge an Mozarts große g-Moll-Sinfonie, an Beethovens zweite Sinfonie oder an Carl Maria von Webers überschwängliche Ouvertüren-Melodien finden - doch sind diese Vorbilder so bruchlos in Mendelssohns Stil integriert, dass man keineswegs von Zitaten oder bloßen Übernahmen sprechen kann. Das formale Konzept des ersten Satzes, dessen Reprise verkürzt ist zugunsten einer ausgedehnten Coda, wird er später wieder verwenden, beispielsweise in der Sinfonie, die "Schottische".

Das Andante hat Vorbilder in Sinfonien Haydns, Mozarts und Beethovens, aber auch bei Louis Spohr. Souverän verfügt der junge Komponist über alle Möglichkeiten, mit seinem kompositorischen Handwerk feinste Ausdrucksschattierungen und vor allem -übergänge zu erzeugen. Das Thema des Menuetts mit seinen Synkopen lässt wieder an Mozarts g-Moll-Sinfonie denken, doch handelt es sich dabei um Wendungen, die für klassische Moll-Menuette allgemein typisch sind. Der Mittelteil mit seinen sanft bewegten Klangflächen hat seine Vorläufer in Mendelssohns Streichersinfonien. Der Finalsatz ist formal dem ersten verwandt und auch zunächst wieder vom gleichen „bissigen“ c-Moll-Charakter beseelt. Das kantable Seitenthema, ganz pizzicato gehalten, lebt vom originellen Kontrast der Gegenmelodie der Klarinette. Ein Fugato lässt sich dann ebenso hören wie eine im Tempo gesteigerte Coda - als wollte der junge Komponist zeigen, dass er alle Mittel beherrscht, die eine große klassische Sinfonie ausmachen. Die Sinfonie wurde höchstwahrscheinlich am 14. November 1824 zum Geburtstag von Felix‘ Schwester Fanny in Berlin uraufgeführt.

Zwei Mitschnitte, beide mit dem hr-Sinfonieorchester, empfehle ich Ihnen heute, zunächst mit Paavo Järvi im Rahmen der Eröffnung des Rheingau Musik Festivals 2014, aufgezeichnet im Kloster Eberbach am 29. Juni 2014:

www.youtube.com/watch

Und zum Vergleich noch mit Andrés Orozco-Estrada, aufgezeichnet am 25. März 2021 im hr-Sendesaal Frankfurt:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd