Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
heute erwartet Sie ein Musikstück, das Musik und Malerei verbindet: Paul Hindemiths Sinfonie "Mathis der Maler". Ihre drei Sätze tragen die Titel der berühmten Altartafeln des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald: Engelkonzert, Grablegung und Versuchung des heiligen Antonius.
Noch immer haftet Paul Hindemith der Ruf des schwer erträglichen Bürgerschrecks an: In den 1920er Jahren leistete er sich gleich eine ganze Reihe starker Stücke. Den größten Skandal aber landete Hindemith 1933 mit "Mathis der Maler": Die scheinbar harmlose Oper um Matthias Grünewald sowie die - für Wilhelm Furtwängler und die Berliner Philharmoniker entstandene - Sinfonie über Grünewalds Isenheimer Altar trugen Hindemith mächtigen Ärger mit den Nazis ein und führten schließlich zu seiner Emigration. Ein deutscher Künstler als Opernheld, der seine Kunst aufgibt, um sich mit dem Freiheitskampf der Bauern zu solidarisieren - diese Botschaft musste 1933 als politisches Bekenntnis ankommen.
Indem Paul Hindemith seiner Sinfonie eine überdeutliche Architektur schuf, wollte er keine strenge Gelehrtheit zur Schau stellen, sondern größtmögliche Klarheit schaffen. Er wollte beides: Bewahren, indem er zurückgriff auf Vorbilder - und Erneuern, indem er selbst kontrapunktisch ausgefeilte Fugen eben nicht als Zitat, sondern als eigene Schöpfung integriert. An ihren schönsten Stellen beginnt Hindemiths Musik zu schweben.
Die Sinfonie "Mathis der Maler" entstand während Hindemiths Arbeit an der gleichnamigen Oper, die den Komponisten von 1932 - 1935 beschäftigte. Hindemith hoffte auf eine Uraufführung seines Bühnenwerkes an der Berliner Staatsoper unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler. Dies erwies sich jedoch wegen des Inhalts als problematisch: Das Verhältnis zwischen Künstler und Gesellschaft, symbolisch veranschaulicht an der Figur des Malers Matthias Grünewald und dem historischen Umfeld der Bauernkriege.
So entstand der Plan, aus dem musikalischen Material der Oper heraus ein reines Instrumentalstück zu entwickeln, welches dann für die Oper quasi als Werbeträger fungieren sollte und ihr damit den Weg auf die Bühne bereiten könnte. Zunächst waren vier Sätze konzipiert, quasi als Vorspiele zu den einzelnen Akten. Letztendlich beschränkte sich Hindemith jedoch auf drei Sätze, deren letzter erst zwei Wochen vor der Uraufführung abgeschlossen wurde. Diese fand am 12. März 1934 in Berlin statt, Wilhelm Furtwängler dirigierte die Berliner Philharmoniker.
Die Uraufführung der Sinfonie konnte Furtwängler bei der Reichsregierung noch durchsetzen, aber die Oper schrieb Hindemith nur noch für sich und zur Klärung seines weiteren Weges. An der Figur des historisch kaum greifbaren mittelalterlichen Malers Mathis Gothard Nithart, genannt Grünewald, arbeitete er die brisanten Themen des Lebens unter dem Nationalsozialismus ab: Mathis ergreift Partei für Verfolgte, leistet Fluchthilfe, zeigt Zivilcourage, erlebt eine Bücherverbrennung, wird zusammengeschlagen, zweifelt an sich selbst und am Sinn von Kunst in apokalyptischer Zeit, schafft in einer als Albtraum erlebten Nacht sein Werk, und steht schließlich vor der Frage des inneren oder äußeren Exils.
Die Sinfonie schildert weniger die Vorgänge auf den drei ausgesuchten Altartafeln als vielmehr den geistig künstlerischen Vorgang ihres Entstehens. Hindemiths Kompositionstechnik ist handwerklich und reflektiert zugleich, sein Tonmaterial rein und frisch wie Farben auf der Palette des Malers, der sie mischt und aufträgt.
In der Oper "Mathis der Maler" erklingt die Grablegung am Schluss, dabei legt Mathis sein Handwerkszeug, seine Ehrenkette, ein paar Bücher und ein persönliches Andenken in eine Truhe. Dann geht er - wie Paul Hindemith 1938 - ins Exil. Die Uraufführung der 1935 vollendeten Oper findet nicht mehr in Deutschland, sondern am 28. Mai 1938 in Zürich statt.
Unser heutiger Mitschnitt entstand im Rahmen der BBC Proms am 1. September 2010 in der Londoner Royal Albert Hall, das Gustav Mahler Jugendorchester spielt Hindemiths Sinfonie "Mathis der Maler" unter der Leitung von Herbert Blomstedt:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler