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03.04.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 610

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

Kammermusik aus Frankreich erwartet Sie in der heutigen Ausgabe: Maurice Ravels Sonate für Violine und Klavier G-Dur.

Ravels Posten als Lastwagenfahrer während des Ersten Weltkriegs hatte zweifellos seine Gesundheit angegriffen und während der letzten 20 Jahre seines Lebens litt er an Schlaflosigkeit. Hinzu kam, dass 1917 seine Mutter gestorben war. Nach der Überzeugung vieler seiner Freunde hatte er dies ebenfalls nie wirklich verwunden. Diese Faktoren trugen dazu bei, dass das Komponieren zu der Zeit ein mühevolles Unterfangen war, insbesondere im Falle der Violinsonate G-Dur. Ravel hatte 1923 mit der Arbeit daran begonnen, sie dann beiseite gelegt, um sich Werken wie "Tzigane" und seiner Oper "L’Enfant et les sortilèges" zu widmen, und vervollständigte sie erst vier Jahre später. 1926 sah Manuel Rosenthal, ein Schüler Ravels, wie Teile eines Notenmanuskripts im Kamin verbrannten. Es war das Finale der Violinsonate, das ihm gut gefallen hatte. „Ja“, sagte Ravel, „ich mochte es auch sehr gern. Aber es passte nicht zu der Sonate.“

Es war seine erklärte Absicht, in dem Werk die grundlegende Unvereinbarkeit der beiden Instrumente herauszuarbeiten. Im ersten Satz teilen Violine und Klavier zwar musikalisches Material, doch ist zum Beispiel das erste Thema deutlich besser für die Geige geeignet, so dass die erste Darbietung durch das Klavier die Unvereinbarkeit nur unterstreicht. Die Widmungsträgerin der Sonate, Hélène Jourdan-Morhange, war der Ansicht, dass die Violine in dem Werk eher wie ein Holzblasinstrument behandelt würde, während das Klavier - zumindest in den Händen des Komponisten - trocken und perkussiv klänge.

Im mittleren Satz, „Blues“, knüpft Ravel dort an, wo er in "Tzigane" aufgehört hatte - es erklingen Glissandi, komplexe Ornamente, und es wird in hohen Streichpositionen gespielt, die den charakteristisch heiseren Ton der afrikanischen Stimme imitieren. Ein Musikkritiker entdeckte sogar detaillierte Anlehnungen an Jelly Roll Mortons Black Bottom Stomp. Nicht eine Stilkopie wird hier angestrebt, sondern Ravel verwendet den Blues als Inspirationsquelle. "Ich habe zwar diese populäre Form übernommen", sagte er 1928 während einer USA-Reise, "aber ich wage zu behaupten, dass die Musik, die ich geschrieben habe, trotzdem französisch ist, Ravels Musik".

Im letzten Satz, „Perpetuum mobile“, kann sich die Geige kaum zurückhalten, wenn sie einmal mit ihren Sechzehnteln begonnen hat, und es wird die erbarmungslose, dunkle Seite der wilden Zwanziger Jahre, die Ravel auch in Werken wie La valse und dem Boléro darstellte, spürbar. Diese Musik scheint von den Idealen der Nobilität und Reinheit, die die Welt César Francks prägten, weit entfernt zu sein. Doch in dem „Blues“, und zuweilen auch im ersten Satz, kann eine zarte Verletzlichkeit zum Ausdruck kommen, die Ravel nur sehr selten zeigte.

Die Vollendung des Werkes zog sich bis 1927 hin, so lange, dass die Widmungsträgerin (die Geigerin Hélène Jourdan-Morange bat Ravel um eine Violinsonate) die Uraufführung aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr spielen konnte. Es war der rumänische Geiger George Enescu, der zusammen mit dem Komponisten am Klavier das Stück im Pariser Salle Erard im Mai 1927 aus der Taufe hob. Die Sonate für Violine und Klavier ist Ravels letztes Kammermusikwerk.

Ein Mitschnitt aus der New Yorker Carnegie Hall erwartet Sie heute. Leonidas Kavakos und Yuja Wang haben Ravels Violinsonate 2014 dort musiziert:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd