Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
zwei Werke für Violine und Klavier von Franz Schubert habe ich heute für Sie ausgewählt: Das Rondo h-Moll D 895 und die Fantasie C-Dur D 934.
Während die vier Violinsonaten im Wesentlichen intime Werke sind, sind das Rondo h-Moll (oder das Rondeau brillant, wie der Verleger Artaria es nannte) und die Fantasie C-Dur seltene Schaustücke dieses Komponisten, der alles andere als prahlerisch war. Beide waren von dem jungen Geigenvirtuosen Josef Slavík inspiriert, der 1826 sein heimatliches Böhmen verlassen hatte, um sich eine Karriere in Wien aufzubauen. Einige Jahre später bezeichnete Chopin ihn anerkennend als „einen zweiten Paganini“. Das Rondeau brillant entstand im Oktober 1826 und wurde erstmals zu Beginn des folgenden Jahres von Slavík und Karl Maria von Bocklet im Rahmen eines von Artaria veranstalteten Konzerts aufgeführt.
Das Rondo in h-Moll teilt sich in zwei lange Abschnitte - eine Andante-Einleitung und ein Allegro in Sonatenrondo-Form - und zeigt Schubert von seiner extravertiertesten und rhetorisch eindringlichsten Seite. Die technischen Ansprüche befinden sich auf einem anderen Niveau als die Werke der Jahre 1816/17, wobei das Klavier zuweilen als Orchesterersatz behandelt wird. Die Einleitung beginnt in eindrucksvoller Weise und mit Anklängen an die französische Barockouvertüre, bevor sich die Musik etwas beruhigt und mit einer langgezogenen Kantilene im italienischen Stil fortfährt. Die Frage, die von den letzten beiden Tönen gestellt wird, wird im Allegro beantwortet - ein Rondo von unermüdlicher rhythmischer Energie, abwechselnd sprunghaft und streng, erleichtert durch Momente der Stille und der harmonischen Lyrik. Das zweite Thema, das vom Klavier eingeführt wird, während die Geige geradezu hyperaktive Figurationen spielt, könnte direkt aus einem Militärmarsch Schuberts stammen. Nach einer Erinnerung an die Kantilene des Beginns und einer Reprise des Rondothemas kommt eine zentrale Episode in G-Dur, deren umgängliche Melodie in widerspenstiger Weise durch ein ganzes Tonartenspektrum geführt wird. Das Rondothema erscheint ein letztes Mal, bevor der Marsch die mitreißende Coda, Più mosso, auslöst.
Schuberts Fantasie für Violine und Klavier C-Dur D 934 zählt ohne Zweifel zum Schönsten, was er für diese Besetzung schrieb. Von den 24 Minuten, die diese Fantasie immerhin dauert, mag man keine Sekunde vermissen - so unbeschreiblich schön ist sie! Aber als das Werk im Januar 1828 uraufgeführt wurde, konnte sich der Kritiker eine ironisch distanzierte Bemerkung kaum verkneifen: „Die Fantasie dehnte sich etwas zu lange über die Zeit aus, die der Wiener den geistigen Genüssen widmen will. Der Saal wurde allmählich leerer, und der Referent gesteht, dass auch er von dem Ausgang dieses Musikstücks nichts zu sagen weiß.“
Was irritierte die Wiener Zuhörer an diesem Werk? Dass Schubert hier traditionelle Sonatensatzprinzipien völlig frei mit liedhaften Fantasiemomenten verwoben hat? Dass verschiedene Sätze aneinander gereiht sind, ohne voneinander getrennt zu sein? Dass eine Fantasie fast eine halbe Stunde füllt? Wir können es heute kaum noch nachvollziehen - und erklären dieses Phänomen dann gerne damit, dass Schubert hier eine Vision hatte, eine Antwort auf Formfragen, die ihrer Zeit weit voraus war.
Dreh- und Angelpunkt der Fantasie ist Schuberts Lied „Sei mir gegrüßt“ D 741, das er im Andantino-Teil der Fantasie zitiert und anschließend variiert, musikalisch ganz wunderbar schlicht und doch voller Tiefe. Denn Schuberts scheinbar schlichte Tonsprache ist tief gefüllt mit einer Versunkenheit in elementare Gefühle wie Trauer und Schmerz, die den Zuhörer unmittelbar berührt und zum Schluss in ein mild und zuversichtlich strahlendes Licht führt. Schade für den Wiener Rezensenten im Jahr 1828, dass er diese Poetik hier nicht erlebt hat. Hoch komplex sind übrigens auch die Ansprüche, die Schubert mit seinem "einfachen" Notentext an die Interpreten stellt; das Innenleben seiner Musik ist voller technischer Herausforderungen.
Gidon Kremer und Valery Afanassiev musizierten beide Werke im Jahr 1990 in der Kölner Philharmonie:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler