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22.09.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 830

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

nach längerer Zeit heute an dieser Stelle wieder einmal ein Werk von Maurice Ravel: Shéhérazade -  Drei Gedichte für Singstimme und Orchester.

Es sollte eine Hommage an Rimsky-Korsakow und dessen symphonische Dichtung "Scheherazade" sein. Aus einer von "Tausendundeiner Nacht" inspirierten Gedichtsammlung des Schriftstellers Tristan Klingsor fasst Maurice Ravel drei Texte zu einem Zyklus von Orchesterliedern zusammen. Mit diesen "Shéhérazade"-Liedern kann der Komponist seinen ersten großen Erfolg verbuchen. 

Sie berichtet aus fernen Ländern. Geschichten aus Persien, aus Syrien, aus Indien, aus China: Shéhérazade, die Erzählerin aus "Tausendundeiner Nacht". Maurice Ravel, der ohnehin ein Faible für den Orient hat, vertont drei solcher Geschichten. Bereits einige Jahre vor diesem 1904 uraufgeführten Liederzyklus sollte Shéhérazade sogar die Titelfigur in einer Oper werden. Das Werk wird allerdings nicht realisiert. 

Die Texte stammen von einem eng mit Ravel befreundeten Dichter, der eigentlich Léon Leclère heißt. Sein Pseudonym setzt sich allerdings aus Figuren aus zwei Wagner-Opern zusammen: Tristan Klingsor. Wie Ravel gehört er der Künstlergruppe "Les Apaches" an, die um 1900 in Paris regelmäßig zum Gedankenaustausch zusammenkommt. Mit Ravel teilt er den Hang zu allem Exotischen. Seit der Pariser Weltausstellung 1889, auf der man erstmals Gelegenheit hatte, außereuropäische Kulturen kennenzulernen, bestimmt die Orientmode die Kunst aller Sparten. Und Ravel greift die Klangwelt Asiens auch in seiner Musik auf. 

In "Asie", dem ersten Lied, ersteht eine fremde Welt in Bilden voller Schönheit, voller Geheimnisse, aber auch voller Gewalt und Erotik. Nicht nur von aufregenden arabischen Städten und lieblichen Landschaften wird berichtet, sondern auch von Morden, Todesurteilen und Schurkerei - gerade das Schauerliche übt eine besondere Faszination aus. Das zweite Lied, "La Flûte enchantée", beginnt mit den Klängen der Flöte, denen die Erzählerin vom Innern des Hauses aus lauscht. Noch sinnlicher in seiner Stimmung ist das letzte Lied, "L’Indifférent" ("Der Gleichgültige"). Die Erzählerin beobachtet einen androgynen Jüngling. Sie fühlt sich angezogen von dessen mädchenhaften Augen und seinem femininen Gang. Die Begegnung ist jedoch nur flüchtig. Erotik ist hier weit mehr als nur unterschwellige Andeutung.

Als großer Bewunderer von Debussy und dessen Oper "Pelléas et Mélisande" mit ihrer kongenialen Symbiose von Text und Musik lässt Ravel auch in "Shéhérazade" Sprache und Klang zu einer Einheit verschmelzen. Tristan Klingsor soll ihm seine Gedichte immer und immer wieder laut vorgelesen haben, damit der Komponist die Melodie und den Rhythmus der Sprache verinnerlichen konnte, um sie dann so wie sein großes Vorbild Debussy zu vertonen. Als besondere Herausforderung wählte Ravel sogar sprachlich extrem komplizierte Texte aus Klingsors Sammlung aus - Texte mit großem Interpretationsspielraum für Sängerin und Zuhörer.

Der Zyklus endet so, wie er begonnen hat, in einem mysteriös schillernden Piano. Alle drei Lieder bringen die geheimen Sehnsüchte der Erzählerin zum Ausdruck. Dabei weicht der Tatendrang und die fast überschäumende Wollust des Anfangs mehr und mehr einer trägen, erschöpften Sinnlichkeit. Shéhérazade, die Fabulierkünstlerin, flüchtet sich in ihre Geschichten, die Ravel farbenreich und exotisch-faszinierend zum Klingen bringt.

Unser heutiger Konzertmitschnitt kommt aus der Frankfurter Alten Oper. Am 14. Oktober 2022 musizierten Hanna-Elisabeth Müller mit dem hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Constantinos Carydis:

www.youtube.com/watch?v=r0SbqJKNMh0&feature=youtu.be

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Urlaubsgrüßen aus Amsterdam

Matthias Wengler

Beitrag von sd