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27.02.2023 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 443

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

heute stehen gleich zwei Werke von Wolfgang Amadeus Mozart auf dem Programm: Seine Fantasie c-Moll KV 475 (1785) ist zwar erst nach der Sonate c-Moll 457 (1784) entstanden, beide Werke sind jedoch inhaltlich aufeinander bezogen und bilden eine Einheit. Widmungsträgerin beider Stücke ist Mozarts Schülerin Therese von Trattner.

Mozart ließ beide Werke Ende 1785 unter dem Titel "Fantaisie et Sonate pour le Forte-Piano" im Druck erscheinen. Die Handschrift der beiden Werke ist erst 1990 in den USA wieder aufgetaucht und wurde für 1.839.200 US-Dollar vom Salzburger Mozarteum ersteigert. 

Die Fantasie beginnt mit einem „tief resignierten, schicksalsschweren Unisonomotiv“ - so hat es der Mozart-Forscher Hermann Abert formuliert, „dem sofort zwei schmerzliche Seufzer folgen - man könnte fast sagen: in den Bläsern.“ C-Moll ist in der Tonartencharakteristik der Zeit die Tonart für Unterwelt-Szenen, für Leid und unheimliche Begegnungen. Dieses Schmerz- und Gruselpotenzial nutzt Mozart reichlich. Doch inmitten der größten Verzweiflung, am Rande der finstersten Abgründe lässt Mozart (und das beherrscht er vielleicht wie kein zweiter Komponist) immer wieder ganz plötzlich Hoffnungsschimmer durchscheinen, und die Musik gerät wieder auf einen festen Boden. Die Fantasie bewegt sich virtuos auf dem schmalen Pfad zwischen Improvisation. Vieles scheint aus dem Moment heraus erfunden, und immer wieder gibt es „Denkpausen“ im musikalischen Fluss - und einer klarer Form: sie lässt sich in sechs Teile untergliedern, die sich in Tempo, Tonart und Gestus unterscheiden, und kehrt am Schluss zu ihrem düsteren c-Moll-Ausgangspunkt zurück.

Was die c-Moll-Sonate so sehr von den bisher entstandenen Sonaten unterscheidet, ist eine völlig neue Sprache und ein erschütternder Ausdruck subjektiver Tragik. Diese Sonate steht am Beginn einer neuen Epoche im Leben Mozarts und ist jenes Werk, das auf die Zeitgenossen und unmittelbaren Nachkommen, vor allem auf den jungen Beethoven, den tiefsten Eindruck gemacht hat. Sie ist die erste große monumentale Klaviersonate, die nicht nur für den Salon geschrieben ist, sondern auch „in großen Rahmen“ erklingen kann und soll. Ihr Inhalt ist zutiefst tragisch. Dies ist insofern überraschend, wenn man den Zeitpunkt der Komposition bedenkt. 1784 stand Mozart am Gipfel seines äußeren Erfolges in Wien. Er gab in diesem Jahr mehr als 20 ausverkaufte Konzerte, in denen er eigene Werke spielte. Die c-Moll-Sonate eröffnet die Reihe jener tragischen Moll-Werke der Wiener Jahre Mozarts, die mit dem unvollendeten Requiem 1791 ihren Abschluss fand.

Mozarts Fantasie c-Moll KV 475 ist im folgenden Link mit Daniel Barenboim zu sehen, der Mitschnitt entstand 1989 in Schloss Haimhausen:

www.youtube.com/watch

Die c-Moll-Sonate wurde im Juli 2000 in der Snape Maltings Concert Hall in Suffolk mit Alfred Brendel aufgezeichnet:

www.youtube.com/watch

Und zum Abschluss noch eine Orchesterfassung der Fantasie c-Moll KV 475. Im 19. Jahrhundert wurde das Werk zwei Mal für Orchester arrangiert: Um 1810 entstand die Version des sächsischen Komponisten Carl David Stegmann, dessen Bearbeitung der ausgedehnten Fantasie nur den Kopfsatz der Sonate folgen lässt, während Mozarts Schüler Ignaz von Seyfried in seiner 1829 entstandenen Version alle drei Sätze der Sonate instrumentiert hat. Auch wenn in Stegmanns Fassung nicht zu überhören ist, dass Großteile des Figurenwerks eigentlich für Klavier gedacht sind, ist sie doch eine wundervolle Hommage an Mozarts Genie. Stegmanns Fassung musizierte das WDR-Sinfonieorchester unter der Leitung von Reinhard Goebel am 22. Juni 2018 im Funkhaus Wallrafplatz Köln:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd