Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
in der heutigen Ausgabe erwartet Sie ein Chorwerk von Felix Mendelssohn Bartholdy: Der 114. Psalm "Da Israel aus Ägypten zog".
Mendelssohn vertonte den 114. Psalm während eines Sommeraufenthaltes 1839 in Horchheim bei Koblenz. Nach der Uraufführung im Leipziger Gewandhaus unterzog er die Partitur einer grundlegenden Überarbeitung, veränderte sämtliche Tempoangaben und fügte vor allem etliche Takte hinzu, bis er zu einem für ihn höchst zufriedenstellenden Ergebnis kam: „Mir war das Stück gerade besonders ans Herz gewachsen, obwohl es schwerlich für das sogenannte Publikum was ist; aber mir war’s lieb…“
Schon in jungen Jahren faszinierten und inspirierten Mendelssohn Psalmtexte, und so hinterließ er insgesamt fünf groß orchestrierte Psalmvertonungen, stilistisch angesiedelt im Spannungsfeld zwischen den klassischen Meistern und dem Weg in die Romantik. Vor allem der 114. Psalm, der durchgängig für achtstimmigen Chor ohne Solopartien gehalten ist, und der 115. Psalm, den er seiner Schwester Fanny Hensel zum Geburtstag schenkte, zeugen zudem von einer intensiven kompositorischen Auseinandersetzung mit dem Vokalwerk von Johann Sebastian Bach.
Unzweifelhaft ist, dass auch im 114. Psalm Mendelssohns Beschäftigung mit Händel Spuren hinterlassen hat; dieses Mal insbesondere die Oratorien "Joshua" und "Israel in Ägypten", die er gut gekannt und als Leiter des Niederrheinischen Musikfests 1833 und 1838 aufgeführt hat. Nicht nur die Thematik rückt den 114. Psalm in die Nähe dieser Werke, sondern neben anderem auch die klangprächtigen achtstimmigen Chöre; der Wechsel von homophonen und polyphonen Abschnitten; die tonmalerische Darstellung der zurückweichenden Wasser des Jordan; die monumentale Halleluja-Schlussfuge, die Mendelssohn einer Wiederkehr der Anfangsverse „Da Israel aus Ägypten zog“ anfügt.
Der 114. Psalm wurde anlässlich des Einführungskonzerts von Riccardo Chailly als Kapellmeister des Leipziger Gewandhausorchesters am 2. September 2005 im Gewandhaus aufgeführt. Chailly blieb dort bis 2016 Chefdirigent. Das Konzert war ein Fest für Mendelssohn Bartholdy - aufgeführt von dem Orchester, das er selbst von 1835 bis 1847 als Kapellmeister leitete. Gewandhauschor, der Chor der Oper Leipzig und das Gewandhausorchester musizieren unter der Leitung von Riccardo Chailly:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler