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06.01.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 719

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

willkommen im neuen Jahr 2025 - möge es für uns alle ein gesundes, fröhliches, erfolgreiches und friedvolles Jahr werden. Und da mit Musik alles besser geht und eine Prise Humor auch nicht schadet, starten wir mit einem besonderen Musikstück: "A Grand, Grand Overture" von Malcolm Arnold.

Schüsse im Konzertsaal: Was in Zeiten der Terrorangst vermutlich Panik auslösen würde, baute Malcolm Arnold 1956 sorglos als makabren Gag in seine „Grand Grand Overture“ ein. Die Besetzung für dieses gut achtminütige Konzertstück sieht neben einem großen Sinfonieorchester mit viel Percussion und extra Orgel nämlich folgende Solisten vor: 3 Staubsauger, 1 Bodenpolierer und 4 Gewehre. Ein Vorreiter für die beliebten Besetzungsexperimente von späteren Komponisten Neuer Musik wie Karlheinz Stockhausen mit seinem Helikopter-Streichquartett aus den 90er Jahren? Wohl kaum. Der Komponist und Oscar-Preisträger Arnold parodierte hier die traditionelle, oft pathetische Konzertouvertüre des 19. Jahrhunderts und erlaubte sich dabei - typisch britisch - eine gute Portion schwarzen Humor.

Dass die Ouvertüre großspurig mit „Grand, Grand“ überschrieben ist, gibt schon einen Hinweis auf die ironische Note. Arnold komponierte sie für das Hoffnung Festival, das dem deutsch-britischen Karikaturisten Gerard Hoffnung gewidmet war. Im Rahmen dieses Festivals fand am 13. November 1956 ein restlos ausverkauftes Konzert in der Royal Festival Hall in London statt, bei dem auch die „Grand Grand Overture“ erstmals erklang. Die Londoner Presse feierte dieses Event als „Crazy Concert“. Schon bei den Proben, so ist überliefert, konnten die Musiker vor Lachen kaum spielen. Auch heute kann man diese kompositorische Rarität - wenn überhaupt - zu Anlässen erleben, bei denen Champagner fließt und die Krawatte locker sitzt. Bei Neujahrskonzerten zum Beispiel. Gern werden dann die vier Solistenrollen mit den wichtigsten Haus-Promis besetzt: Intendant, Chefdramaturg, Betriebsdirektor und Chefdirigent etwa, die enthusiastisch ihre Staubsauger anwerfen und sich im virtuosen Wettstreit ihrer schmucklosen Instrumente zu übertrumpfen versuchen.

Nach dem Stimmen der Putzgeräte beginnt das Werk zunächst mit einer kurzen Einleitung und einem ersten Thema mit reichlich Blechbläsern, das an Gershwin erinnert. Wenig später, als Kontrast: eine süffige Melodie mit Kitsch-Alarm - die Sonatenhauptsatzform lässt grüßen. Dann aber werfen die drei Staubsauger und der Bodenpolierer den Strom an und zeigen, was sie drauf haben. Immer wieder bringen sie sich mit genauestens vorgeschriebenen Einsätzen ins klangliche Geschehen ein. Dass dabei ihr Rauschen kaum gegen den vollen Sound eines großen Sinfonieorchesters ankommt, macht die komische Tragik ihrer Solistenrollen nur umso deutlicher. Schließlich wird in bester Hollywood-Manier das elegische zweite Thema in der Coda nochmal genüsslich ausgebreitet, verstummt dann aber in einem Trugschluss. Bevor die Gewehrschüsse (wahlweise von den Staubsaugerspielern gegenseitig oder von extra eingesetzten Protagonisten abgefeuert) die vier Solisten niedermetzeln und alles in einer triumphalen Apotheose gipfelt. Vier Schüsse, vier Treffer, vier Leichen, The End.

Im Rahmen der Last Night of the Proms wurde Malcolms Grand, Grand Overture am 12. September 2009 in der Londoner Royal Albert Hall aufgeführt. Es spielt das BBC Symphony Orchestra unter der Leitung von Jiri Belohlavek:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd