Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
ein Lesetipp führte zur Komposition unseres heutigen Musikstücks: Don Quixote - Fantastische Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters für großes Orchester op. 35 von Richard Strauss.
Den Tipp, dass es lohnenswert wäre, sich einmal mit den Heldengeschichten des spanischen Schriftstellers Miguel de Cervantes in seinem Roman „El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha“ zu beschäftigen, bekam Richard Strauss 1891 von Cosima Wagner. Der Komponist muss von der Lektüre des über 250 Jahre alten Romans über die grotesken Erlebnisse von Don Quixote und Sancho Panza nachhaltig beeindruckt gewesen sein. Seine „Fantastischen Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters“ entstanden sechs Jahre später in München als op. 35 in Form einer Sinfonia Concertante.
Richard Strauss notierte in seinem Tagebuch: "Die Variationen sind in meinem Don Quixote als Darstellung von nichtigen Phänomenen im Kopf des Ritters von der traurigen Gestalt als eine Art Satyrspiel ad absurdum geführt." Gegenstand der im Jahr 1897 entstandenen Variationen sind drei Themen, die zugleich drei zentrale Charaktere der musikalischen wie literarischen Erzählung ausmachen, nämlich der Ritter Don Quixote selbst, sein Knappe Sancho Pansa und die nur als irreales Traumbild vorhandene Dulcinea, in die sich der Ritter verliebt hat. Der Ritter und sein Knappe wurden darüber hinaus Instrumenten zugeordnet, Don Quixote einem Solocello und Sancho Pansa einer solistischen Viola, sodass das Werk vor allem wegen der hochvirtuosen Partie für das Cello einem Instrumentalkonzert gleichkommt.
Richard Strauss komponierte in seiner sinfonischen Dichtung jedoch nicht an einem linearen Handlungsverlauf entlang, sondern griff sich punktuell Details aus Cervantes’ Roman heraus. Diese gestaltete er auf eine so naturalistische Weise, wie sie dem Publikum bis dahin selten in der Musik begegnet war. Markante Beispiele sind die ersten beiden Variationen: In Variation 1 „betritt“ Don Quixote, gefolgt von Sancho Panza, musikalisch die Bühne, indem ihre Themen erklingen; kurz darauf ist das lyrische Thema der schönen Dulcinea wie ein in der Luft schwebendes Traumbild zu hören. Es währt jedoch nicht lange, denn die Windmühlen tauchen auf, in denen Don Quixote ein feindliches Heer zu erkennen glaubt. Im Kampf mit ihnen wird er von einem Flügel erfasst, durch die Luft geschleudert und landet mit lautem Krachen, deutlich hörbar in der Pauke, auf dem Boden. Beinahe gebärdenhaft komponierte Strauss das Jammern und Klagen des Ritters, bevor dieser sich zum nächsten Abenteuer aufmacht.
Dies ist in Variation 2 der „Kampf gegen Kaiser Alifanfarons Heer“ - in Wirklichkeit eine Hammelherde. Diese blökt derart lautmalerisch kühn als atonale Cluster in Teilen des Orchesters, dass man sich klanglich einige Jahrzehnte nach vorne ins 20. Jahrhundert versetzt fühlt. Vor allem der Klang dieser zweiten Variation stieß bei der Uraufführung am 8. März 1898 in Köln mit dem Gürzenich-Orchester unter Franz Wüllner und mit Friedrich Grützmacher als Cellist bei einigen Hörern auf Unwillen. Ein Kritiker schrieb: „ Die einen betrachteten ihn als den gelungensten Ulk, den je ein Karnevalshumor ersonnen, die anderen riefen nach Carbol, um den ehrwürdigen Gürzenich von dem Knoblauchgeruch so rotznasigen Tongelichters zu desinfizieren.“
Während sich die "Nachtwache" aus Variation 5 zu einem poetischen Höhepunkt entwickelt - Don Quixote träumt von seiner geliebten Dulcinea - ist Variation 7 ganz auf Effekt getrimmt. Don und Sancho fliegen auf einem magischen Boot durch die Luft und verspüren Wind, wofür Richard Strauss im Orchester eigens eine Windmaschine vorsieht.
Am Ende triumphiert das Cello als Hauptsoloinstrument. Im Finale wird der von lauter Illusionen lebende Don Quixote nochmal an seine Heldentaten erinnert. Das Cello hat einen großen Abgesang, bevor die Stimme Don Quixotes sozusagen unter den mitfühlenden Tränen aller anderen Instrumente immer weiter auf der Bass-Saite herabrutscht und ins Nichts fällt. Aber nicht mit einem großen Effekt: Strauss hat den Tod des Don Quixote als ein sanftes Fallen vertont - eine Traumstelle für jeden Cellisten!
Vier Konzertmitschnitte dieses Meisterwerks habe ich für Sie ausgewählt, zunächst mit Jean-Guihen Queyras (Violoncello), Öykü Canpolat (Viola) und dem Gürzenich-Orchester Köln unter der Leitung seines kürzlich abgesetzten Chefdirigenten François-Xavier Roth, aufgezeichnet am 18. Januar 2022 in der Kölner Philharmonie:
Gleich zwei Mitschnitte mit Cello-Legende Mstislaw Rostropowitsch empfehle ich Ihnen gerne, hier zunächst aus dem Jahr 1975 mit Ulrich Koch (Viola) und den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Herbert von Karajan:
Zum Vergleich eine Aufführung mit dem Saito Kinen Orchestra unter der Leitung von Seiji Ozawa:
Und zuletzt noch ein Mitschnitt aus der Münchner Philharmonie im Gasteig, aufgezeichnet im Dezember 2012 - es musizieren Maximilian Hornung (Violoncello), Hermann Menninghaus (Viola) und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Bernard Haitink:
Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler