Suche

Musik in schwierigen Zeiten Ansicht

17.03.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 749

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

morgen beginnt für mich der alljährliche Dänemark-Urlaub - daher fällt heute meine Wahl auf ein Werk aus diesem Land: Sinfonie Nr. 3 d-Moll op. 27 von Carl Nielsen, auch als "Sinfonia espansiva" bekannt.

Als ob ein Kind mit Dynamit spielt: So charakterisierte ein Kritiker den Eindruck, den die Uraufführung der ersten Sinfonie von Carl Nielsen bei ihm hinterlassen hatte. Insgesamt sechs Sinfonien hat der dänische Komponist geschrieben, die in einem Zeitraum von mehr als 30 Jahren entstanden sind. Jede dieser Sinfonien hat ihr individuelles Gesicht - was ihnen aber gemeinsam ist: Diese große Energie und auch eine eigenständige Querständigkeit. Das Bild mit dem Dynamit hat etwas für sich. Nielsens dritte Sinfonie, komponiert in den Jahren 1910 und 1911, beginnt etwa mit einer effektvollen "Orchester-Explosion". Das mag an so etwas wie einen Urknall erinnern, zumindest aber ist es der Start für eine Entwicklung durch die Sinfonie hindurch, die einem Schöpfungsakt nachempfunden ist.

"Ich protestiere" - so Carl Nielsen - "gegen das typisch dänische sanfte Dahingleiten. Ich will kräftigere Rhythmen." In seiner dritten Sinfonie hat Nielsen genau das umgesetzt. Die ersten Takte sind reiner Rhythmus: keine Harmonie, keine Melodie, nur ein einziger Ton (ein a), 26 Mal erklingt er, in immer kürzeren Notenwerten und engeren Abständen; wie Morsezeichen, die sich hektisch beschleunigen eine fast explosive Sogwirkung entfalten. Aus dieser Schubkraft entwächst das Hauptthema in den Holzbläsern. Mit riesigem Atem und grandioser Steigerung entwickelt es sich über 137 Takte hinweg nach As-Dur, also weit weg vom Ausgangspunkt d-Moll. Der Name "Sinfonia espansiva" geht auf den ersten Satz zurück. Carl Nielsen überschrieb ihn mit "Allegro espansivo". Es hatte Jahre gedauert, bis ihm die Idee zu diesem ausgedehnten, offenen Hauptthema kam. Nielsen war im Frühjahr 1910 gerade mit der Straßenbahn unterwegs, als ihm das Thema einfiel. Und weil er gerade kein Papier dabei hatte, notierte er das Thema kurzerhand auf seinem Hemdsärmel.

"Andante pastorale" ist der Titel des zweiten Satzes: ruhig, schlicht, naturhaft ist sein Charakter. Drei Grundzutaten prägen ihn: eine einstimmige, in sich kreisende Streichermelodie in C-Dur, eingefärbt durch das spannungsreiche Intervall der kleinen Septime (typisch für die dänische Folklore und für Nielsens Musiksprache), dann eine bewegtere Melodie in den Holzbläsern, die einem musizierenden Hirten abgelauscht sein könnte, und die teils unwirsch dazwischen fahrenden, teils zu großen Pathos aufgebäumten Einwürfe der Streicher. Schließlich ist alles zu einer großen Klangfläche übereinander geschichtet, über der zwei Singstimmen mit schwebenden Vokalisen (also ohne Text) hinzutreten.

Ein Jagdmotiv der Hörner eröffnet den dritten Satz, die Oboe übernimmt mit verschnörkelten Arabesken. Die werden durchkreuzt von wilden Trillern und Tonrepetitionen der Streicher: "Herzschlag der Arbeit" nannte Nielsen dieses energievolle Pulsieren. Im Finale steigert er den Herzschlag zur "Apotheose der Arbeit". Hier wagt sich die Musik mit ihrem simpel hymnischen Hauptthema weit an die Grenze des Banalen, biegt dann aber immer wieder - und gerade noch rechtzeitig - ab in überraschende harmonische Regionen und in das Terrain des kunstvoll-komplexen Kontrapunkts.

Nielsen verwendet in seiner Musik bevorzugt klare, diatonische Intervalle. Damit wandte er sich bewusst ab von den spätromantischen Harmonien mit ihren chromatischen Fortschreitungen, wie sie bei Komponisten wie Richard Wagner oder Max Reger zu finden sind. Nielsens Musik basiert auf der klassischen Tradition. Für ihn brachte die dritte Sinfonie den lang ersehnten Durchbruch: Endlich erkannte man ihn als führenden Komponisten seines Landes an. Und auch im Ausland schenkte man ihm größere Beachtung. Im Januar 1913, rund ein Jahr nach der Uraufführung, spielte das Stuttgarter Tonhalle-Orchester die deutsche Erstaufführung. Urteil des Kritikers: "ein mächtig anregender Ruf aus dem Norden".

Ein historischer Konzertmitschnitt vom 17. Mai 1965 erwartet Sie heute mit dem Royal Danish Orchestra unter der Leitung von Leonard Bernstein:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd