Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
Musik aus dem Todesjahr des Komponisten erwartet Sie heute: Franz Schuberts Drei Klavierstücke D 946.
Franz Schubert hatte eine Schwäche: Obwohl er, wie er sagte, für nichts anderes auf die Welt gekommen sei, als das Komponieren, hielt er nicht viel von sich selbst. "Zuweilen glaube ich wohl selbst im Stillen, es könne etwas aus mir werden, aber wer vermag nach Beethoven noch etwas zu machen?" Dazu war er von äußerst bescheidener Natur. Die Aufführung seiner Stücke passierte fernab der Öffentlichkeit. In vertrautem Kreise, den berühmten Schubertiaden, spielte er alles, was er in seiner Kammer aufgeschrieben hatte. Dass er trotzdem als freischaffender Künstler überleben und arbeiten konnte, verdankte er seinem sozialen Netzwerk, Freunden und Bekannten, die ihn, wenn es finanziell knapp wurde - und das wurde es oft - unterstützten. Das Gefühl, von Menschen bewundert und gefeiert zu werden, mochte Schubert nie. Zu viel Aufmerksamkeit trieb ihm die Schamesröte ins Gesicht. Ihm ging es immer nur um die Musik. Jeglicher Kult um seine Person war ihm fremd. Vielleicht hielt er sich deshalb in Sachen Emotionen und Gedanken zurück, zumindest im zwischenmenschlichen Miteinander.
Auch wenn er vor anderen verbergen konnte, was ihm gerade durch den Kopf ging, musikalisch blieb Schubert alles andere als verschlossen. "Er hat Töne für die feinsten Empfindungen, Gedanken, ja Begebenheiten und Lebensumstände", schrieb Robert Schumann einmal bewundernd. Auch wenn nicht jeder Ton als autobiografischer Seismograph bewertet werden darf, gehört Schubert zweifelsohne zu den ersten Komponisten, die die Musik nutzten, um ihrem Innersten eine Form zu geben. Das Impromptu und Schubert hängen deshalb fest zusammen. Basierend auf der Improvisation und quasi emotional ungefiltert kommt darin ein Ton zum anderen und ergibt in der Summe ein klangstarkes Stimmungsbarometer.
Zu Schuberts Lebzeiten war das Impromptu als lyrisches Klavierstück noch ganz neu. Durch den tschechischen Komponisten Jan Václav Voříšek 1822 erstmals öffentlich bekannt gemacht, etablierte es sich nach und nach. Schubert schuf insgesamt drei Impromptu-Zyklen: die berühmten "Moments musicaux" (D 780) und „Impromptus“ (D 899 und D 935). Die drei Klavierstücke D 946 entstanden gesondert davon, in seinem Todesjahr 1828, einem der ertragreichsten in seinem kurzen Leben. Ob er sie als ein weiteres Heft herausbringen wollte, bleibt bis heute ungeklärt. Fest steht nur, dass sie in ihrer Vollkommenheit etwas Unvollkommenes haben, das sie im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen skizzenhaft macht.
Schuberst Klavierstücke wurden 1868 von Johannes Brahms posthum veröffentlicht. Bis heute bleiben sie hinsichtlich ihrer Popularität hinter den drei großen Zyklen. Dabei stehen sie ihnen sowohl musikalisch als auch technisch in nichts nach: Sie sind reich an expressiven Momenten und sinnlichem Ausdruck und vereinen technisch hoch virtuos Gegensätzliches: Dur trifft auf Moll, Aufruhr auf Gelassenheit, Hell auf Dunkel - eingebettet in ein spannungsreiches Wechselspiel zwischen euphorischem Lebensgenuss und romantischer Melancholie.
Über die genauen Entstehungsumstände der Drei Klavierstücke ist nichts bekannt. Auffallend ist an einigen Stellen eine Skizzenhaftigkeit, so als sei Schubert zur endgültigen Überarbeitung der Stücke nicht mehr gekommen, wie es sich auch im Autograph durch Streichungen nachweisen lässt.
Das erste Stück Allegro assai in es-Moll ist von düsterer Stimmung, trotz eingeschobener Dur-Aufhellungen und energievoller Steigerungen. Wie auch im zweiten Stück wechseln Tonart, Tempo und Dynamik mehrfach und schildern einen drängenden, immer wieder kurz inne haltenden Schubert, dem keine Zeit mehr blieb. Das zweite Stück setzt den Zyklus in Es-Dur fort. Es ist ein lose gefügtes Rondo: dem sanglichen Allegretto werden ein im Pianissimo beginnender resignativ wirkender c-Moll-Teil und ein melancholischer as-Moll-Teil gegenübergestellt. Von heftigen Synkopen geprägt sind die Eckteile des letzten Stücks, eines Allegro in C-Dur, das mit nur einem Mittelteil am knappsten gefasst ist. Es erinnert mit seinem wirbelnden Schwung vordergründig an tschechische Musik. Im modulationsreichen Trio-Mittelteil überrascht ein faszinierender Farbwechsel. Die geradezu hypnotische Monotonie des hier angewandten gleichen motorischen Rhythmus wird immer wieder aufgebrochen.
So spielt Schubert mit den erzeugten Erwartungen des Hörers, und die drei Sätze, die alleine schon ihres Umfangs wegen zu den anspruchsvollsten Werken der Klavierliteratur gehören, bleiben einem kurzweilig in Erinnerung.
Drei Interpreten habe ich heute für Sie ausgewählt, zunächst Alfred Brendel, der am 17. Juni 2025 im Alter von 94 Jahren in London verstarb - hier eine Fernsehproduktion, die 1976 im Studio von Radio Bremen entstand:
Zum Vergleich ein Pianist, von dem man in den kommenden Jahren noch viel hören wird: Fabian Müller, aufgezeichnet am 10. November 2022 in der Kölner Philharmonie:
Und zum Schluss; Andás Schiff, aufgezeichnet 2020 im Rokokosaal der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler