Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
Kammermusik aus England erwartet Sie in der heutigen Ausgabe: Benjamin Brittens Sonate für Violoncello und Klavier C-Dur op. 65.
Mstislaw Rostropowitsch war ein energischer Verfechter zeitgenössischer Musik und bat Dutzende Komponisten um neue Werke für das Violoncello. Er war sich durchaus darüber im Klaren, dass die daraus resultierenden Kompositionen nicht immer großartig waren, bemerkte jedoch einmal scherzhaft, dass wenn von zehn neuen Werken, die er in Auftrag gegeben habe, nur eins sich als bedeutend herausstellte, der Aufwand sich gelohnt habe.
Ein unstrittiges Meisterwerk, für das er direkt verantwortlich war, ist das erste Cellokonzert von Schostakowitsch, das er im September 1960 in der Londoner Royal Festival Hall in England uraufführte. Bei diesem Anlass war Schostakowitsch selbst anwesend, und Britten war in die Loge des Komponisten eingeladen worden. Von Rostropowitschs Spiel überwältigt, willigte Britten in die umgehende Bitte des Cellisten - sie lernten sich nach diesem Konzert kennen - ein, für ihn ein neues Cellowerk zu komponieren. Britten reagierte mit der Sonate in C, die er während einer Griechenlandreise im Herbst 1960 geplant und über Weihnachten desselben Jahres vollendet hatte.
Am 30. Januar schickte er Rostropowitsch einen Brief, um ihm anzukündigen, dass die Partitur unterwegs sei und äußerte sich zu den ungewöhnlichen Pizzicato-Passagen: „Der Pizzicato-Satz wird Sie amüsieren; ich hoffe, dass das möglich ist! Die kleinen Phrasen werden natürlich nur einmal gezupft - wenn sie jedoch absteigen, müssen sie mit der linken Hand gezupft werden. Ich hätte gern, wenn möglich, es sei denn, es ist anders gekennzeichnet, dass dies „Non arpeggiando“ mit 2 oder 3 (manchmal auch 4!) Fingern gespielt wird - etwa wie auf einer Gitarre!“ Am 11. Februar schickte Rostropowitsch ein Telegramm an Britten, in dem er berichtete, dass er „Ihre großartige Sonate“ verehre und liebe. Am 5. März trafen sich die beiden Musiker in Brittens Londoner Wohnung, um das neue Werk erstmals zusammen durchzuspielen: zunächst waren beide nervös, jedoch offenbar mithilfe einiger starker Drinks spielten sie dann mit Begeisterung das Stück und blieben fortan eng befreundet. Rostropowitsch erinnerte sich später: „Ich war so aufgeregt, dass ich gar nicht hätte sagen können, wie wir spielten. Ich merkte nur, dass wir den ersten Satz gleichzeitig beendeten. Ich sprang auf, hüpfte über das Cello und stürzte zu dem Komponisten, um ihn in einem Anfall spontaner Dankbarkeit zu umarmen.“
Die Sonate wurde erstmals von ihrem Widmungsträger und Komponisten am 7. Juli 1961 beim Aldeburgh Festival aufgeführt. Das Werk wurde derart begeistert aufgenommen, dass der vierte und fünfte Satz als Zugaben gespielt werden mussten. In seiner Rezension des Konzerts in der Londoner Times beobachtete William Mann, dass Britten mit seiner Sonate möglicherweise „seinen Eindruck des Charakters des Widmungsträgers widerspiegeln wollte: heiter, charmant und erstaunlich brillant als Ausführender, hinter all diesen Eigenschaften jedoch ein eindringlicher Musiker mit dem Geist eines Philosophen“.
Wie auch in vielen früheren Instrumentalwerken entschied sich Britten, dieses Charakterporträt in die Form einer mehrsätzigen Suite einzupassen, und nicht in die traditionelle Sonatenform. Der Stil der Musik ist deutlich schlanker und ökonomischer gehalten als in vielen seiner früheren Werke und antizipiert damit die sparsamere Kompositionsweise, die er sich nach dem War Requiem, das einen wichtigen Wendepunkt in seinem Schaffen darstellte, zu eigen machte. Mit ihren fünf Sätzen - dem einleitenden Dialogo, dem bartókhaften Scherzo-pizzicato, der Lento-Elegie, dem bizarren Energico-Marsch und dem Perpetuum-mobile-Finale - scheint die Sonate verschiedene Facetten eines Cellisten-Genies zu beleuchten. Sie ist weniger das Ergebnis abstrakter Konstruktion als spontaner Eindrücke, die Britten beim Musizieren mit Rostropowitsch gewann.
Unser heutiger Konzertmitschnitt entstand im Rahmen des Solsberg Festivals 2019 - am 29. Juni musizierten in der Klosterkirche Olsberg Sol Gabetta und Bertrand
Chamayou Benjamin Brittens Meisterwerk:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Urlaubsgrüßen aus Dänemark
Matthias Wengler