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06.08.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 810

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Kirchenmusik,

ein unvollendet gebliebenes Werk von Franz Schubert erwartet Sie in der heutigen Ausgabe. Es handelt sich allerdings nicht um die berühmte Sinfonie mit dem Beinamen "Unvollendete", sondern um ein Streichquartett: Der Quartettsatz c-Moll D 703.

Ende 1820 hatte sich Schubert noch einmal kurzzeitig der Streichquartett-Komposition zugewandt, und sein Vorgehen zeugte von dem Ehrgeiz, ein noch eindringlicheres und dramatischeres Werk zu schaffen als seine vorherigen Beiträge zur Gattung. Doch ähnlich wie er bei seinen ersten ernsthaften Versuchen auf dem Gebiet der Klaviersonate etliche Entwürfe aufgegeben hatte, so sollte auch sein Streichquartett von 1820 unvollendet bleiben. Wie über der Klaviersonate schwebte über dem Streichquartett der mächtige Schatten von Beethoven, und vielleicht war es zum Nachteil von Schubert, bei seiner Rückwendung zum Quartettbereich ausgerechnet ein Stück in c-Moll in Angriff zu nehmen - jener Tonart, der Beethoven so nachhaltig seinen Stempel aufgedrückt hatte. 

Im Hinblick auf die musikalische Substanz ist der einzige Teil des Quartetts, den Schubert vollendete - der Quartettsatz D 703 -, von allererster Güte, auch wenn seine unkonventionelle Form den Komponisten vielleicht nicht zufrieden stellte. Nach gerade einmal vierzig Takten eines langsamen Satzes in As-Dur brach er die Arbeit am Werk jedenfalls ab. Das Allegro wurde erstmals 1870 veröffentlicht, also über 40 Jahre nach dem Tod des Komponisten, während der begonnene langsame Satz erst 1897 als Teil der ersten Schubert-Gesamtausgabe im Druck erschien. Die Herausgeber (zu denen auch Brahms gehörte) maßen dem Quartettfragment einen ähnlichen Stellenwert bei wie der „Unvollendeten“ Sinfonie.

Schuberts Allegro setzt in gespannter und aufgewühlter Stimmung ein: Durchgehende Tremoli vollführen ein allgemeines Crescendo, dessen Höhepunkt auf dem „neapolitanischen“ Klang Des-Dur erreicht wird. Erst ganz am Ende des Stücks wiederholen sich diese Anfangstakte, und derselbe Akkord wird Teil der energischen Schlusskadenz. Die Reprise wird unterdessen durch die Wiederkehr des lieblich-ausdrucksvollen Seitenthemas eingeleitet - aber nicht in der Tonika, sondern in einer relativ weit entfernten Tonart. Erst auf den letzten Seiten kehrt die Musik schließlich zum Ausgangspunkt zurück, indem das dritte Thema des Werks erneut erklingt, nun in sanftem C-Dur. Auf dramatische Weise wird dieser Gedanke jedoch von der Rekapitulation des Eingangsthemas verdrängt.

Zwei Mitschnitte stelle ich Ihnen heute zur Auswahl, zunächst mit dem legendären Amadeus-Quartett, aufgezeichnet 1977 in Aldeburgh: 

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich: Das Escher String Quartet, aufgezeichnet am 24. Januar 2023 in der New Yorker Alice Tully Hall:
  
www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

 

Beitrag von sd