Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
heute erwartet Sie wieder einmal ein Konzert für zwei Soloinstrumente: Das Konzert für 2 Klaviere und Orchester E-Dur von Felix Mendelssohn Bartholdy, das er im Alter von 14(!) Jahren komponierte.
Die privaten Sonntagsmatineen, die der Bankier Abraham Mendelssohn seit 1822 veranstaltete, waren in ganz Berlin berühmt: Im Gartenhaus der Leipziger Straße 3 - heute befindet sich unter dieser Adresse der Bundesrat - versammelte sich in regelmäßigen Abständen alles, was in und über die Grenzen Berlins hinaus Rang und Namen hatte: Finanzmenschen und Politiker, Wissenschaftler, Philosophen und Künstler; die Gespräche kreisten um die neuesten Erfindungen und Entdeckungen, um Literatur, Theater, die bildenden Künste - und vor allem um Musik. Die Aktivitäten Abraham Mendelssohns waren sicherlich nicht ganz uneigennützig: Zwar hatte das kulturelle Engagement in der Familie Tradition (Moses Mendelssohn, der Philosoph, war u. a. mit Lessing befreundet gewesen), aber nun galt es, der musikalischen Begabung des 14-jährigen Felix und seiner vier Jahre älteren Schwester Fanny ein gesellschaftliches Podium zu verschaffen, ohne dass man dem Vater (wie weiland Leopold Mozart) den Vorwurf machen konnte, er missbrauche das Talent seiner Kinder für den eigenen Ehrgeiz.
In diesem Rahmen führte Felix zusammen mit seiner Schwester und unter Mitwirkung mehrerer Berliner Orchestermusiker am 14. November 1824 sein E-Dur-Konzert für zwei Klaviere auf. Das Konzert trägt die Züge eines typischen Frühwerks, das einerseits seine musikalischen Vorbilder nicht verleugnen kann, aber schon erkennen lässt, wohin die künstlerische Entwicklung dereinst gehen wird. Noch orientiert sich die Instrumentation an Mozart, Spohr und Weber (vor allem in der delikaten Behandlung der Bläser), und die pianistische Ausarbeitung lehnt sich an die virtuose und ornamentale Weitschweifigkeit eines Nepomuk Hummel oder John Field an. Was aber den thematischen Einfallsreichtum und die melodische Gestaltung angeht, so ist dieses Konzert schon reinster Mendelssohn.
Als Felix Mendelssohn Bartholdy im April 1829 seine erste Englandreise antrat, befand sich die Partitur des Doppelkonzerts in seinem Reisegepäck. Am 11. Juli führte er zusammen mit dem befreundeten Pianisten Iganz Moscheles das Werk in London auf. Über die Probenarbeit schrieb er an seinen Vater: "Gestern hatten wir in der Clementischen Pianoforte-Fabrik die erste Probe, und ich amüsierte mich köstlich dabei, denn man hat keinen Begriff von unseren Coquetterien, und wie einer den andren fortwährend nachahmte. Das letzte Stück spielt Moscheles ungeheuer brillant, er schüttelt die Läufe aus dem Ärmel. Als es aus war, meinten alle, es sey so Schade, daß wir keine Cadenz machten, und da budelte ich gleich im letzten Tutti des ersten Stücks eine Stelle heraus, wo das Orchester eine Fermate bekommt, und Moscheles mußte nolens volens einwilligen, eine große Cadenz zu komponieren; wir berechneten nun, unter tausend Possen, ob das letzte kleine solo stehn bleiben könnte. Ich versprach ein tutti zu liefern, und so haben wir förmlich Maaß genommen, geflickt, gewendet und wattiert, Ärmel eingesetzt, und ein brillantes Concert zusammengeschneidert."
Danach hat Mendelssohn sein Interesse an dem Werk verloren. Weder bemühte er sich um einen Verleger, noch versah er das Konzert mit einer Opuszahl. Nach Mendelssohns Tod galten die handschriftlichen Noten als verschollen, bis sie 1960 in der Wissenschaftlichen Bibliothek in Ost-Berlin wiederentdeckt und veröffentlicht wurden.
Unser heutiger Mitschnitt kommt aus der Pariser Philharmonie. Mendelssohns Doppelkonzert musizierten dort am 4. April 2013 Bertrand Chamayou und Jean-Frederic Neuburger gemeinsam mit dem Orchestre de Paris unter der Leitung von Louis Langrée; die Zugabe stammt von Robert Schumann (Nr. 5 aus den Sechs Studien in kanonischer Form op. 56):
Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler