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12.07.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 652

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

wie kaum eine andere Oper hat Christoph Willibald Glucks "Orfeo ed Euridice" den Entwicklungsgang des Genres beeinflusst: Das 1762 in Wien uraufgeführte Werk bündelte auf geradezu mustergültige Weise die zahlreichen Reformansätze seiner Zeit. Die traditionelle Opera seria wurde durch Glucks "Azione teatrale", die den natürlichen, authentischen Ausdruck der Figuren in den Mittelpunkt stellt, herausgefordert und gewissermaßen überwunden.

Der Orpheus-Mythos, der die Form der Oper selbst begründete und bis heute zu den beliebtesten Stoffen des Musiktheaters zählt, hatte mit Gluck eine vollkommen neue Ausformung gefunden. Seine Verarbeitung der Geschichte von Orpheus, der die Götter der Unterwelt mit seinem Gesang betörte, um seine geliebte Eurydike ins Leben zurückholen, ist von einer bis dahin nicht gekannten dramatischen Wahrhaftigkeit und lässt das Publikum tiefen Anteil nehmen an der Gefühlswelt der Protagonisten.  

Christoph Willibald Gluck und seine künstlerischen Mitarbeiter wollten eine knappe, fabelhafte „festa teatrale“ inszenieren, ein Theaterfest zur Feier eines kaiserlichen Namenstages, 1762 in Wien, Unterhaltung durchaus inbegriffen. Und wo fortan das neue Zugstück gefragt war, in Parma, in London, in Paris, ob als „Orpheus und Eurydike“, „Orfeo ed Euridice“ oder „Orphée et Euridice“ - Gluck passte seine Partitur den jeweiligen Gegebenheiten an. Er kürzte, ergänzte, erweiterte, orchestrierte und transponierte, wann immer es nötig schien, stets mit Blick auf die Besetzung, die regionale Tradition, die eindrucksvollste Wirkung. So stellt jede Version von Glucks Werk bereits auf der Text-Ebene eine Interpretation dar.

Glucks Oper ist ein Meisterwerk des 18. Jahrhunderts, dessen Wirkung sich weit ins 19. Jahrhundert hinein erstreckte. Hector Berlioz wurde zum engagiertesten Sachwalter von Glucks Erbe, der kompromisslos frankophile Claude Debussy dagegen forderte: „Nieder mit Gluck!“ und hob stattdessen den französischen Barock-Meister Jean-Philippe Rameau auf den Schild. Richard Wagner wiederum bewunderte Gluck und bearbeitete sogar dessen „Iphigenie“-Oper. Interpretation ist eben alles - in Theorie und Praxis, und das gilt auch für die hohe Anzahl von „Orpheus“-Aufnahmen.

Es sind tiefe Fragen nach der Liebe über den Tod hinaus, nach Sehnsucht, Trauer und der Macht der Musik, die der antike Orpheus-Mythos aufwirft: Orpheus, der in die Unterwelt steigt, um seine gestorbene Eurydike zurückzuholen ins Reich der Lebenden. Mit seinem Gesang bezwingt er sogar die Furien.

Zwei Aufführungen stelle ich Ihnen heute gerne zur Auswahl, zunächst vom März 2018 aus der Mailänder Scala mit Juan Diego Florez (Orphée), Christiane Karg (Euridice), Fatma Said (L'Amour) sowie Chor und Orchester der Mailänder Scala unter der Leitung von Michele Mariotti:

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich: Ein Mitschnitt vom 1. September 1991 aus London mit Jochen Kowalski (Orfeo), Gillian Webster (Euridice), Jeremy Budd (Amor) sowie Chor und Orchester des Royal Opera House unter der Leitung von Hartmut Haenchen, die Inszenierung stammt von Harry Kupfer:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler


Erster Akt
Am Grab Eurydikes beklagt Orpheus den Tod seiner geliebten Frau, während eine Gesellschaft von Trauernden die Totenzeremonie vollzieht. Verzweifelt richtet sich Orpheus an die Götter und fordert von diesen, ihm Eurydike zurückzugeben. Amor erscheint als Bote Jupiters und berichtet, dass Orpheus Eurydike aus der Unterwelt zurückholen dürfe. Allerdings sei es ihm verboten, Eurydike im Schattenreich anzublicken. Orpheus akzeptiert diese Vorgabe, wenngleich er zweifelt, ob Eurydike sein Verhalten verstehen werde.

Zweiter Akt
Vor dem Tor des Hades versperren die schaurigen Furien Orpheus den Zugang zur Unterwelt. Doch gelingt es ihm, die höllischen Gestalten durch seinen Gesang zu beschwichtigen, sodass sie ihm den Weg in das Elysium gewähren. Dort angekommen, besingt Orpheus die Schönheit des Elysiums, doch konzentrieren sich seine Gedanken nach wie vor nur auf die Suche nach Eurydike. Er findet die Geliebte und ist entschlossen, sie unter Wahrung von Jupiters und Amors Gebot aus der Unterwelt zu führen.

Dritter Akt
Orpheus fordert die ungläubige Eurydike auf, seinen Anweisungen bedingungslos zu folgen und mit ihm die Unterwelt zu verlassen. Doch klagt sie bald über die geringe Zuneigung ihres Mannes und verlangt von ihm, sie anzusehen. Orpheus verweigert den Blick und bemüht sich, den Klagen Eurydikes zu widerstehen. Enttäuscht darüber, dass Orpheus ein entscheidendes Geheimnis vor ihr verbirgt, droht sie, lieber sterben zu wollen, als ungeliebt mit ihm zu leben. Hieraufhin bricht Orpheus’ Widerstandskraft und Eurydike stirbt zum zweiten Mal. Den abermaligen Verlust Eurydikes nicht fassen könnend, beschließt Orpheus, sich das Leben zu nehmen. Dann erscheint Amor und ruft Eurydike als Belohnung für Orpheus’ Treue zurück ins Leben.

Beitrag von sd