Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
unser heutiges Musikstück entstand unter ungewöhnlichen Umständen: Benjamin Brittens Sinfonie für Cello und Orchester op. 68
"Wenn Du möchtest, dass ich mich wieder vollständig erhole", schrieb der von einer Krankheit fast genesene Mstislav Rostropowitsch im März 1962 an Benjamin Britten, "dann besuche bitte den Arzt, dessen Adresse lautet: The Red House, Aldeburgh, Suffolk. Nur wenn er ein brillantes Cellokonzert komponiert, werde ich wieder richtig gesund." Der "Arzt" war natürlich niemand anderes als Britten selbst. Am 3. Mai 1963 war es soweit: Britten vollendete seine "Symphony for Cello and Orchestra". Brittens Lebensgefährte Peter Pears sagte später über Rostropowitsch: „Er ist natürlich ein Tyrann... - Man kann ihm wirklich nicht widerstehen."
Rostropowitsch schloss das Werk von der ersten Note an ins Herz: "Das Beste was je für Cello komponiert wurde" schrieb er an Britten, nachdem der ihm den ersten Satz geschickt hatte: Die Uraufführung dann fand am 12. März 1964 in Moskau statt: Rostropowitsch spielte selbstverständlich den Cellopart, am Pult des Moskauer Philharmonischen Orchesters stand Benjamin Britten.
"Schreibe für das Cello alles, was Dein Herz Dir diktiert, egal wie schwer es ist; meine Liebe für Dich wird mir helfen, alle Töne zu meistern, selbst die unmöglichen", schrieb Rostropowitsch an Britten. Dieser antwortete: "Wie Du siehst, wird es ein ziemlich großes Stück - ähnlich einer Sinfonie", schrieb Benjamin Britten zurück. "Ich frage mich, ob es nicht besser konzertante Sinfonie heißen sollte." Aus dem ursprünglich bestellten Cellokonzert wurde schließlich dann eine "Symphony for Cello and Orchestra". Die Anlage, Struktur und Architektur der Musik sind also sinfonisch angelegt. Der Solist muss mit dem Orchester und auch mit dem Dirigenten extrem gut kommunizieren, damit diese Stimmen, die so oft sehr verzahnt sind, wirklich auch akustisch sehr gut herausgearbeitet werden.
Aus diesem Werk erwuchs eine lebenslange Verbindung, Rostropowitsch sah in Britten einen echten Freund. Britten widmete Rostropowitsch seine Cellosonate op. 65 (1961), drei Cello-Suiten und die Cello-Sinfonie, sein Liederzyklus "The Poet’s Echo "op. 76 (1965) wurde für seine Frau, die Sopranistin Galina Wischnewskaja, geschrieben.
Anders als in konventionelleren Konzerten besteht in der Cello-Sinfonie ein Gleichgewicht zwischen Solist und Orchester. Die Sololinie des Cellos ist in die Struktur der Orchesterstimmen verwoben, und der Solist teilt sich oft Melodien mit anderen Instrumenten im Orchester. Cello und Orchester scheinen in einer einzigen organischen Einheit verschmolzen, und der ganze Charakter der Sinfonie scheint aus dem üppigen, weichen Klang des Soloinstruments zu erwachsen.
Das Solo-Cello beginnt das Allegro maestoso mit einer Folge von aufgerührten, dissonanten Akkorden, bevor das Orchester allmählich mit einstimmt, was zu dem allgemeinen Gefühl von rätselhafter Turbulenz beiträgt. Nach der Steigerung zu einem Höhepunkt wird eine zweite Idee - eine stille, seufzerische Träumerei - vom Cello eingeführt, das von Pizzicato-Streichern begleitet wird, bevor die Musik erneut zu einem Höhepunkt anwächst und zu einem sanften Schluss abebbt. Es folgt ein rastloses, brillantes Presto inquieto, mit einem Geschwirr von lebhaften Unterströmungen und Überfluss von Energie.
Das Adagio ist der emotionale Kernpunkt des Werkes und beginnt mit einem Paukenwirbel und einer üppigen Solo-Cellomelodie. Der Satz zeichnet sich durch zahlreiche eloquente, elegische Melodien aus, die sowohl vom Solisten als auch dem Orchester gespielt werden, bevor die Musik sich zu einem leidenschaftlichen Höhepunkt und einer explosiven, dissonanten Cellokadenz steigert. Die abschließende Passcaglia, die als sechs Variationen und eine Coda konstruiert ist, stellt eine große Vielfalt von lebhaften Orchesterfarben vor; sie wird von einer hellen Trompetenmelodie angekündigt und bietet ein aufregendes Finale zu diesem Werk.
Der heutige Konzertmitschnitt kommt aus Frankreich. 2014 musizierten in der Pariser Salle Pleyel Gautier Capucon und das Orchestre de Paris unter der Leitung von David Zinman Brittens Cello-Sinfonie:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler