Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
heute werde ich wortbrüchig: Für meine letzte Urlaubsausgabe aus Wien wähle ich heute ein Werk aus, das ich in Folge 352 schon einmal vorgestellt habe. Wolfgang Amadeus Mozarts Oper "Die Hochzeit des Figaro" - dieses Meisterwerk werde ich am Sonnabend in der aktuellen Inszenierung von Barrie Kosky in der Staatsoper sehen.
Zur kurzen Erinnerung: Mozarts epochale Oper entstand in einer hochtheatralischen Zeit. 1786, drei Jahre vor der Französischen Revolution, lagen die Nerven von Adligen und Bürgern blank. Zwischen der libertären Lebensweise der Aristokraten und den immer lauter werdenden Moralappellen des Bürgertums, das bald schon „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" für sich reklamieren sollte, wuchsen die Spannungen; das Pulverfass war kurz vor der Explosion. Vorlage für Mozarts "Le Nozze di Figaro" bot ein Theaterstück von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, "Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit". Beaumarchais übte in seinem Stück ziemlich unverhohlen Kritik am Adel, der sich feudale Rechte herausnimmt, die sich eigentlich schon überlebt haben.
An Barrie Koskys Inszenierungen kann man sich sicherlich oft reiben - langweilig sind sie jedoch nie. Die Pressekritiken zur Premiere der aktuellen "Figaro"-Inszenierung, die live auf arte gesendet wurde, waren durchweg positiv. Diese Produktion ist online (noch) nicht bzw. nicht mehr verfügbar - aber eine andere Produktion, die mich bereits vor vielen Jahren durch ihre unkonventionelle Erzählweise begeistert hat, möchte ich Ihnen gerne vorstellen. Es ist die BBC-Fernsehfassung einer Inszenierung des Music Theatre London von Nicholas Broadhurst, die musikalische Bearbeitung stammt von Tony Britten, der auch die musikalische Leitung hat.
1994 schlug der Produzent Dan Patterson vor, die Arbeit des Music Theatre London (MTL) im Fernsehen zu übertragen. Das MTL ist eine Operngesellschaft, die auf die brillante Idee gekommen war, klassische Opern (u. a. "Die Fledermaus", "Cosi fan tutte" und "Don Giovanni") in modernen Übersetzungen zu präsentieren - mit aktualisierten Libretti, Sängern, die auch Schauspieler waren, und einem kleinen Orchesterensemble. Unter der musikalischen Leitung von Tony Britten und der Bühnenregie von Nicholas Broadhurst war das MTL viele Jahre lang mit großem Erfolg auf Tournee.
Im Dezember 1994 strahlte die BBC an drei Abenden „Marriage Of Figaro“, eine TV-Adaption der MTL-Tourneeversion aus. Mit einem Grafen, der dem konservativen britischen Parlamentarier Alan Clark nachempfunden ist (1983 stieg er unter Margaret Thatcher zum Minister auf und sorgte in dieser Position für zahlreiche Skandale und Kontroversen), einem wunderschönen Anwesen des National Trust, einem Heimtrainer und einem idiotischen Gärtner war diese Opernfassung ein voller Erfolg und gewann zahlreiche Auszeichnungen. Die Besetzung: Andrew C. Wadsworth (Sir Cecil Portico), Harry Burton (Figaro), Mary Lincoln (Susanna), Jan Hartley (Rosina), Jacinta Mulcahy (Cherubino), Denis Quilley (Bartolo), Simon Butteriss (Basilio), Tricia George (Marcellina) und Nigel Palmer (Antonio).
Wer britischen Humor UND Mozarts Musik liebt, kommt hier in besonderer Weise auf seine Kosten - die Inhaltsangaben zu den einzelnen Akten finden Sie am Ende dieser Ausgabe - hier die einzelnen Folgen:
www.youtube.com/watch (1. Akt)
www.youtube.com/watch (2. Akt)
www.youtube.com/watch (3. und 4. Akt)
Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Urlaubsgrüßen aus Wien
Matthias Wengler
AKT I
Sir Cecil und Lady Rosina haben Eheprobleme. Tatsächlich hat Sir Cecil, der drängende, ehrgeizige Tory-Eurokrat, es sich zur Gewohnheit gemacht, einem der Diener Bargeld als Gegenleistung für sexuelle Gefälligkeiten anzubieten. Bei der Bediensteten handelt es sich um Rosinas Dienstmädchen Susanna, die Verlobte seines Dieners Figaro. Als sie von Sir Cecils unwillkommenen Aufmerksamkeiten erfährt, kommt sie zu dem Schluss, dass ein Wort an die Boulevardpresse nur eine deflationäre Wirkung auf die Vorschläge seines Chefs haben und zu einem Rückgang seines Interesses führen könnte.
Die Atmosphäre im Haus wird durch die Anwesenheit von Sir Cecils priapischem Patensohn Cherubino noch intensiviert, der mehr als nur kindliche Zuneigung zu Rosina zum Ausdruck bringt. Ebenfalls anwesend sind Marcellina, eine Frau, die niemand einlädt, die aber immer da ist, Bartolo, der Anwalt der Familie und ihr heimlicher Liebhaber, und Basilio, Sir Cecils Reptiliensekretär. Alle drei haben zu kämpfen: Marcellina schuldet Figaro Geld, der sich bereit erklärt hat, sie zu heiraten, falls er es nicht zurückzahlen sollte, Bartolo, dessen Ambition, Rosina zu heiraten, einige Jahre zuvor von Figaro vereitelt wurde, und Basilio, weil er ein giftiger kleiner Kerl ist.
AKT II
Lady Rosina ist eine unentschlossene Frau, die für immer zwischen Yves St. Laurent und Givenchy hin- und hergerissen ist. Unter dem Druck von Figaro und Susanna stimmt sie halbherzig einem dubiosen Plan Figaros zu, der dazu führen soll, dass ihr untreuer Ehemann in flagranti ertappt wird und ihn so hoffentlich zu ihr zurücktreibt.
Dieser Plan scheint auch darin zu bestehen, Cherubino als Susanna zu verkleiden, doch kaum sind er und Rosina allein gelassen, entdecken sie eine gegenseitige Faszination, deren genauere Erkundung durch ein lautes Klopfen im Sir-Cecil-Stil an der Tür unterbrochen wird. Bereits durch einen anonymen Brief, den Figaro ihm gefaxt hat und der ihn vor der angeblichen Untreue seiner Frau warnt, misstrauisch gemacht, gerät er in Wut, als er Geräusche aus dem verschlossenen Badezimmer hört - wo sich Cherubino jetzt natürlich versteckt.
Während Sir Cecil sich auf den Weg macht, um Ausrüstung zum Aufbrechen von Badezimmertüren zu finden, tauscht die geniale Susanna den Platz mit Cherubino, der durch das Fenster entkommt. Alles scheint gut, bis der übelriechende Gärtner Antonio eintrifft, der trotz seines Zustands ständiger Trunkenheit blind schwört, dass er einen Mann aus Rosinas Fenster springen sah. Marcellina, Bartolo und Basilio betreten den Vertrag, der Marcellina eheliche Rechte über Figaro verleiht. Kann sich Figaro aus dieser Situation befreien? Bleiben Sie dran...
AKT III
Wenn Sie es bisher geschafft haben, die Handlung zu verfolgen, sind Sie besser dran als Sir Cecil, der jetzt verzweifelt versucht, die Ereignisse des Morgens zu verstehen. Rosina hat inzwischen einen neuen Plan ausgeheckt, um ihren Mann in eine Falle zu locken; nämlich, dass sie und nicht Cherubino ihn als Susanna verkleidet treffen wird. Zunächst muss Susanna jedoch Sir Cecil von einem Sinneswandel ihrerseits überzeugen und ein Rendezvous vereinbaren.
Figaros Streit mit Marcellina erreicht nun einen kritischen Punkt, als Bartolo fröhlich die Gültigkeit ihres Vertrags verkündet, doch im darauffolgenden Chaos entdeckt Figaro, dass die gefräßige Marcellina seine lange verschollene Mutter und, was noch unwahrscheinlicher ist, dass Bartolo sein Vater ist. Seine Freude ist jedoch nur von kurzer Dauer.
AKT IV
Einer nach dem anderen kommen alle Charaktere in den Garten, um ihre unwissenden Rollen in Rosinas Handlung zu spielen. Sogar sie wird mit ihrer eigenen Petarde hochgehoben, als der leidenschaftliche Cherubino sie für Susanna hält. Figaro und Susanna entdecken die zersetzende Kraft des Misstrauens und bekräftigen ihre Liebe zueinander. Und schließlich wird Cecil dazu verleitet, sich an seine eigene Frau heranzumachen, und zum ersten Mal seit Jahren hört sie, wie ihr Mann zärtliche Worte der Liebe an sie richtet. Die Verkleidungen werden abgelegt, Sir Cecil wird entsprechend gezüchtigt und muss mit einem Ausdruck kaum unterdrückter Wut die Vereinigung von Susanna und Figaro miterleben.