Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
unser heutiges Werk zeigt ein Ehepaar in einer Krise - und der Komponist schrieb dieses Werk während seiner eigenen Flitterwochen: "Trouble in Tahiti", ein Operneinakter von Leonard Bernstein.
Wer den Kinofilm "Maestro" aus dem Jahr 2023 über Leonard Bernstein sieht, könnte den Eindruck gewinnen, dass weder das Leben noch die Ehe des Komponisten einfach waren. 1951 heiratete er die Schauspielerin Felicia Montealegre, und während der Flitterwochen entstand sein Operneinakter "Trouble in Tahiti". Vater, Mutter, Kind - doch die amerikanische Vorstadt-Idylle entpuppt sich als Alptraum. "Trouble in Tahiti" ist eine skalpellscharfe psychologische Studie, kommentiert von einem munteren Jazz-Gesangstrio, das in swingenden Rhythmen eine Idylle besingt, in der die Morgensonne ihr erstes Licht auf das amerikanische Glück von Bernsteins Opern-Ehepaar Dinah und Sam wirft.
Dinah und Sam haben einen gemeinsamen Sohn und leben in einem gepflegten Vorstadtviertel, irgendwo in Amerika zu Beginn der 1950er Jahre. Eigentlich wäre alles in schönster Ordnung. Aber in der heimischen Küche herrscht statt Harmonie schon beim Frühstück Streit, spätestens beim Toast hagelt es Vorwürfe. Das Einzige, was Dinah und Sam noch verbindet, ist die Sehnsucht nach ihrer vergangenen Liebe. Doch auch diese bleibt unausgesprochen, und so flüchten sich die beiden in Parallelwelten. Während Sam seiner Leidenschaft für Handball frönt, träumt Dinah sich in die heile Inselwelt eines Kinofilms, dessen Titel bezeichnenderweise "Trouble in Tahiti" lautet. Mit diesem will Bernstein die beiden am Ende wieder zusammenbringen: Sie sollen einfach miteinander ins Kino gehen. Wenn das kein (Neu-)Anfang ist...
Es war immer Bernsteins Ziel, "eine echte, bewegende amerikanische Oper" zu schreiben, die jeder Amerikaner versteht. So entstand 1951/52 dieser Einakter, für den Bernstein auch selbst das Libretto verfasste. Die Weiterentwicklung der musikalischen Komödie konnte er mit diesem Werk allerdings nicht erreichen. Als er immer mehr mit der fortschreitenden Kommerzialisierung des Musicals haderte, unternahm er knapp 30 Jahre später erneut den Versuch, eine "echt amerikanische" Oper zu komponieren und schuf mit "A Quiet Place" eine Fortsetzung seines Einakters "Trouble in Tahiti". Doch auch eine revidierte Fassung des Werkes, die ein Jahr später in Mailand herauskam und in der große Teile von "Trouble in Tahiti" als Rückblenden in den zweiten Akt eingebaut wurden, brachte keinen großen Erfolg.
Tom Cairns inszenierte 2002 Bernsteins "Trouble in Tahiti" für das Fernsehen, die Besetzung: Stephanie Novacek (Dinah), Karl Daymond (Sam), Tom Randle, Toby Stafford-Allen und Mary Hegarty (Jazz-Trio), es musiziert die City of London Sinfonia unter der Leitung von Paul Daniel. Im Anschluss ist noch ein Gespräch mit dem Bernstein-Biographen Humphrey Burton zu sehen:
Und wer nur einen kurzen Blick in das Stück werfen möchte, ist mit dem Titel "What a movie" im folgenden Link sehr gut bedient. Lucie Schaufer ist hier in einem echten Show-Piece, in dem sie als Dinah die Handlung des absurd schlechten Films "Trouble in Tahiti" schildert, zu erleben - gemeinsam mit dem John Wilson Orchestra im Rahmen der BBC Proms in der Londoner Royal Albert Hall vom 5. September 2015:
Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler
Handlung
Ein Trio von Jazz-Sängern besingt die Freuden des idealen Familienlebens in einer amerikanischen Vorstadt in den 50er Jahren.
In ihrem kleinen Haus streiten sich Sam und Dinah beim Frühstück. Nach zehn Jahren Ehe wollen sie gerne nett zueinander sein, doch gibt es keine rechte Kommunikation mehr zwischen ihnen.
In seinem Büro schließt Sam erfolgreich einen Deal ab und nimmt mit seinem gewohnten Elan einen Kredit auf. Das Trio rühmt seinen Geschäftssinn und sein großes Herz.
Dinah sitzt auf der Couch ihres Psychiaters und erzählt einen Traum: Als sie mühsam versuchte, aus einem weinenden Garten hinauszugelangen, wurde sie von einer Stimme gelockt, die versprach, dass sie die Liebe an einen ruhigen Ort führen würde.
Beiden Eheleute vermeiden ein gemeinsames Mittagessen und hängen ihren Erinnerungen an den schönen Garten voll Leben und Frieden nach, in dem sie sich kennengelernt haben.
Das Trio singt ein lebhaftes Zwischenspiel über das Leben in der Vorstadt.
Sam geht lieber ins Fitnessstudio statt zum Handballspiel seines Sohnes, da ihm, wie er sagt, sein eigener Ehrgeiz sehr wichtig sei. Dinah beschreibt aufgeregt das eskapistische Filmmusical "Trouble in Tahiti", obwohl ihr anzumerken ist, dass sie es eigentlich für schrecklich hält.
Sam und Dinah kehren heim, der Chor kommentiert das Geschehen. Es kommt wieder zu einer kurzen Auseinandersetzung, bevor Sam gelangweilt einen Kinobesuch vorschlägt - irgendein neues Musical über Tahiti. Dinah seufzt, stimmt dann aber zu, und beide gehen aus, um sich dem künstlichen Zauber der Leinwand hinzugeben.